Heute Abstimmung über Clarence Thomas

Washington (taz) — Es ist vollbracht. Nach drei Tagen dramatischer Beweisaufnahme und völlig widersprüchlicher Zeugenaussagen lehnte sich die Nation am Montag morgen gegen 2 Uhr erschöpft in den Fernsehsessel zurück. Clarence Thomas, Präsident Bushs Kandidat für das Amt des Obersten Richters, hatte sich in emotionalen und eloquenten Verteidigungsreden gegen den Vorwurf der sexuellen Belästigung überzeugend verteidigt. Anita Hill, seine vormalige Assistentin in der Antidiskriminierungsbehörde EEOC, hatte dagegen ihre Anschuldigungen gegen Thomas mindestens ebenso überzeugend und in graphischen Details wiederholt: Thomas habe sie vor 10 Jahren mit der aufdringlichen Beschreibung seiner eigenen sexuellen Fähigkeiten und der Schilderung von Pornofilmszenen immer wieder dazu gedrängt, mit ihm auszugehen. Heute soll der Senat, bestehend aus 98 Männern und zwei Frauen, darüber entscheiden, ob Clarence Thomas in Zukunft dem Obersten Gericht angehören soll.

Standen schon die Aussagen von Thomas und Hill in völligem Widerspruch zueinander, so waren die Zuschauer der Hearings nach den Auftritten der Charakterzeugen für beide Seiten am Sonntag nicht viel klüger. Zunächst bestätigten vier alte Freunde der inzwischen zur Jura- Professorin aufgestiegenen Anita Hill, daß diese ihnen bereits Anfang der 80er Jahre von den Schwierigkeiten mit ihrem Ex-Boß und dessen sexuellen Anträgen erzählt habe. Damit scheint zumindest der Vorwurf der anderen Seite, Hill habe sich ihre Story zur Diskreditierung von Thomas erst jetzt zusammengereimt, widerlegt. Übereinstimmend beschrieben sie Anita Hill als freundliche, zurückhaltende, ehrliche und realistische Person.

Allerdings konnte auch die Gegenseite mit Zeugen aufwarten. Die anschließend auftretenden Mitarbeiterinnen aus dem Büro der Antidiskriminierungsbehörde schilderten Anita Hill als hart, arrogant, egoistisch und nicht immer mit beiden Füßen auf dem Boden der Tatsachen stehend. „Die war scharf auf ihn [Clarence Thomas]“, so eine andere Mitarbeiterin des Thomas-Teams in der Behörde. Ihnen folgten vier Männer, die in unterschiedlichem Kontakt zu Anita Hill gestanden hatten. Auch sie hielten große Stücke auf Clarence Thomas und schlossen aus der Tatsache, daß Anita Hill ihnen nie von den sexuellen Belästigungen durch den Boß erzählt habe, daß sie vielleicht eine allzu angeregte Phantasie habe. Überhaupt schien die Theorie von der „phantasierenden Frau“ während der Hearings und in der öffentlichen Diskussion weitaus populärer als die These eines „Dr. Jekyll und Mr. Hyde“, die im Falle Clarence Thomas mindestens ebenso naheliegend wäre.

Um Thomas' Nominierung für das höchste Richteramt abzulehnen, müßten mindestens fünf der ihn bisher unterstützenden Senatoren ihre Meinung über seine Qualifikation ändern. Ihr Votum wird sich dabei weniger am eigenen Gewissen als am Stimmungsbarometer in ihren Wahlkreisen orientieren. Wo sich dieses nach dem gerade überstandenen Drama einpendelt, wüßten auch sie nur allzu gerne. Rolf Paasch