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DEBATTETriumph des Völkischen

■ Zur Genese des serbisch-kroatischen Konflikts

Der Krieg, der um die Grenzen der Republiken — bisher zwischen Kroatien und Serbien — geführt wird, kann nicht beendet werden, solange nicht ernsthafte Friedensregelungen diskutiert sind, die alle Beteiligten miteinbeziehen. Entgegen der landläufig verbreiteten These in Deutschland ist klarzustellen, daß der serbisch-kroatische Krieg von beiden Seiten verschuldet wurde. Von kroatischer Seite, weil Präsident Tudjman und seine Partei nach ihrem Wahlsieg 1990 es versäumten, der serbischen Minderheit ein faires Angebot zur Sicherung der Minderheitenrechte zu machen. Statt dessen wurde mit hohlem nationalistischem Pathos und mit Zurschaustellung der Insignien der Staatlichkeit vergangener Zeiten — zuerst erwog man ernsthaft, die Flagge der Ustascha-Faschisten aus dem Zweiten Weltkrieg zur Staatsfahne zu erheben — die eigene Staatlichkeit beschworen.

Und von serbischer Seite, weil die Belgrader Propagandamaschinerie diesen Vorgang, der bei den in Kroatien lebenden Serben zu Recht nur als Provokation empfunden werden konnte, zum Kriegsgrund hochstilisierte. Mit dem maßlos übersteigerten Argument, die Serben Kroatiens stünden erneut vor der Gefahr eines Genozids durch die Kroaten und die Regierung Tudjman sei die Reinkarnation des Ustascha-Staates, gelang es Fanatikern wie dem Soziologen und ehemaligen Regimekritiker Vojislav Seselj, eine Cetnik-Bewegung zu initiieren, die sich in Ideologie und Habitus an die Cetniks im Zweiten Weltkrieg anlehnt.

Nichts wollten beide Seiten seit 1941 vergessen

In der Tat haben in einem Land, in dem die Geschichte von 1941 lebendig geblieben ist, die in Kroatien lebenden Serben die Opfer in den Konzentrationslagern des Ustascha-Regimes nicht vergessen. Auch wenn inzwischen in Zagreb eingesehen wird, daß die Phraseologie des kroatischen Nationalismus nur dazu führte, daß die moderaten Führer der serbischen Minderheit von den radikaleren verdrängt wurden, und man nun — zu spät — mit Angeboten kommt: Die Dynamik des Krieges hat diesen richtigen Ansatz wirkungslos gemacht.

Schon indem die serbischen Nationalisten die Krajina als autonomes Gebiet unter serbischer Dominanz ausriefen, zeigten sie sich bis zum äußersten entschlossen. Mit den ersten Schüssen Anfang April 1991 wurde deutlich, daß beide Seiten sich verrannt hatten: Die Kroaten beharrten auf der Integrität des Staatsgebietes, das die Republik Kroatien umfaßt. Und die serbischen Nationalisten zeigten, daß sie Gebiete, wo sie in der Mehrheit sind, keinesfalls dem kroatischen Staat unterordnen würden.

Diese Unversöhnlichkeit der serbischen Extremisten wurde durch den schon seit 1987 dominierenden national-kommunistischen Flügel der serbischen „Sozialistischen Partei“ um Präsident Milosevic gestärkt. Denn nach den Anti-Milosevic-Demonstrationen im März dieses Jahres in Belgrad, als von Zehntausenden vehement der Rücktritt des Präsidenten gefordert wurde, versuchte die Regierung mit beiden Flügeln der Opposition — der nationalistischen wie der demokratischen — ins Gespräch zu kommen. Dies gelang. Die Demokratische Partei erhielt Einfluß auf die Regierung, und mit den Nationalisten schloß man mehr als einen Burgfrieden: Sie genossen fortan direkte Unterstützung der Regierung. Angesichts dieser Koalition wurden die verbliebenen demokratischen Kräfte an die Wand gedrückt.

Noch vor den Unabhängigkeitserklärungen in Slowenien und Kroatien im Juni ließ man das vorher stets wiederholte Beharren der serbischen Führung auf einem Gesamtstaat Jugoslawien fallen. Die neue Politik forderte: „Wenn Jugoslawien zerbricht, dann sollen alle Serben in einem Staate zusammenleben.“ Dies betrifft nicht nur die Serben in Kroatien, sondern auch in Bosnien-Herzegowina, in Mazedonien (die Mazedonier werden als Südserben definiert, und auch den Montenegrinern spricht man ebenfalls kein eigenes staatstragendes Nationalbewußtsein zu).

Diese Fixierung auf das serbische Nationalinteresse führte zunächst zu Spannungen zwischen der am Erhalt Gesamtjugoslawiens interessierten Armee und Serbien. Inzwischen scheinen diese Differenzen behoben. Nach der Erfahrung des bewaffneten Widerstands in Slowenien — von dem die Armee überrascht wurde — kam es zu einer Machtverschiebung innerhalb der Armee zugunsten der proserbischen Kräfte. Inzwischen handelt die Armee entlang der Linien großserbischer Politik. Das meint die Eroberung gemischter oder serbisch dominierter Gebiete in Kroatien und anderswo. Eine durch militärische Mittel geschaffene Demarkationslinie soll zur neuen Grenze zwischen beiden Staaten werden. In der ethnisch „gereinigten“ Zone hat die kroatische Bevölkerung keinen Platz mehr: Sie wird vertrieben.

Da die Feuerkraft der Armee derjenigen der kroatischen Garde um ein Vielfaches überlegen ist, verlor der serbische Traum vom Nationalstaat aller Serben seine ursprüngliche Begrenzung. Heute realisieren die Extremisten ihre großserbischen Ziele: große Teile Kroatiens unter Einschluß der dalmatinischen Küste, Bosnien, Montenegro, Kosovo, Mazedonien und die Wojwodina eingeschlossen, also mehr als Dreiviertel des bisherigen jugoslawischen Staatsgebietes. Der Druck auf Bosnien und dessen Mehrheitsbevölkerung, die Muslimanen, wird sich mit der bosnischen Unabhängigkeitserklärung steigern. Schon haben sich vier serbisch dominierte Gebiete in dieser Republik für unabhängig erklärt und folgen somit dem Beispiel der Krajina in Kroatien. Und da es der Traum aller serbischen Nationalisten bleibt, die Albaner aus dem Kosovo, dem „historischen Stammland“ Serbiens, zu vertreiben, sind beide Volksgruppen, die Muslimanen und Kosovo-Albaner, nun in das Fadenkreuz der serbischen Aggression gerückt.

Mit dem Essen kommt der Appetit

Eine Internationalisierung des Krieges ist damit nicht mehr ausgeschlossen. Albanien hat seine Truppen bereits in Alarmbereitschaft versetzt. Die Muslimanen schicken Abgesandte in die islamische Welt, in die Türkei, nach Libyen, Kairo und sogar nach Indonesien. Mazedonien gerät in das Geflecht serbischer, bulgarischer und griechischer Interessen. Und in Ungarn schielen manche auf den ungarisch besiedelten nördlichen Teil der Wojwodina.

Die Ziele der serbischen Nationalisten sind zweifellos imperiale. Doch keineswegs ist ihre Politik für die gesamte serbische Bevölkerung verbindlich. Nicht nur in Belgrad regt sich Kritik. Reservisten weigern sich, zur Armee zu gehen, auf Demonstrationen wird der Stopp des Krieges und Verhandlungen gefordert. Durch die oben beschriebene Machtkonstellation allerdings hat es diese Meinung schwer, sich Gehör zu verschaffen. So bleibt die Friedensbewegung bisher ohne größere Wirkung.

Wer von „den Serben“ und „den Kroaten“ redet, wie dies leider in der deutschen Presselandschaft und vor allem in der 'FAZ‘ der Fall ist, deren Kommentator Reißmüller das Feindbild Serben täglich neu zu entwerfen sucht, trägt nicht gerade zur Befriedung bei, sondern gießt Öl ins Feuer. Hier wird ein völkischer Standpunkt eingenommen, der bewußt von der Kollektivschuldthese ausgeht. Eine Konsequenz dieser Denkweise — die sich bruchlos, wenn auch unter anderen Vorzeichen — mit den nationalistischen Denkweisen in Serbien und Kroatien — deckt, ist, das Völkergemisch des ehemaligen Jugoslawien zu entmischen — mit allen Konsequenzen. Tudjman hat dies vor Monaten vorgeschlagen, Milosevic exekutiert diese Politik.

Die Politik der nationalen Homogenisierung ist nicht nur kriegsfördernd, sondern verhängnisvoll für alle. Für die jetzt betroffene kroatische Bevölkerung, aber später auch für die Minderheiten, für die Hunderttausende von Roma, Ungarn, Bulgaren, Rumänen, Albaner etc. Es mag angesichts der realen Situation des Krieges und der von ihm entfalteten Dynamik utopisch erscheinen, weiterhin für das friedliche Zusammenleben verschiedener Nationalitäten in den Staaten des ehemaligen Jugoslawien zu werben. Doch die Alternativen wären fürchterlich. Deshalb müssen bei Verhandlungen die Interessen aller berücksichtigt werden. Nicht mehr und nicht weniger. Erich Rathfelder

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