INTERVIEW
: Bundestag erkaufte sich Schweigen belästigter Frauen

■ Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz ist auch in der BRD ein explosives Thema/ Sibylle Plogstedt hat maßgeblich an einer entsprechenden Studie des Landesinstituts der Sozialforschungsstelle Dortmund mitgearbeitet

taz: Der Fall Thomas kontra Hill hat in den USA sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz unvermittelt zu einem politischen Topthema gemacht. Könnte es zu einem solchen Eklat auch in der Bundesrepublik kommen?

Sibylle Plogstedt: Das ist nur eine Frage der Zeit, denn das Thema ist hier ähnlich explosiv. Es hat hier zwar Fälle gegeben, in denen zum Beispiel Bürgermeister oder Oberstadtdirektoren zurücktreten mußten, weil untergebene Mitarbeiterinnen ihre sexuellen Belästigungen bekannt gemacht haben. Der Unterschied zu den USA aber ist, daß hier Frauen gegen Männer in wirklich hohen Postionen noch nicht an die Öffentlichkeit gegangen sind.

Die Situation in den USA unterscheidet sich auch insofern, daß im Rahmen eines Antidiskriminierungsgesetzes auch sexuelle Belästigung verboten ist und Frauen schon sehr viele Prozesse gewonnen haben — Prozesse, die mit sehr hohen Entschädigungen endeten. Bei uns wird Belästigung in der Regel erst verfolgt, wenn sie wirklich körperlich ist, verbale Äußerungen hingegen so gut wie noch gar nicht. Die Prozeßlandschaft hat sich in den letzten zwei, drei Jahren aber etwas verändert. Prozesse, gegen Grabscher etwa, sind in den letzten Jahren zunehmend günstiger für die Klägerinnen ausgegangen.

Belästigung ist in vielen Fällen ein Euphemismus für das, was an sexuellen Übergriffen und Gewalt am Arbeitsplatz passiert. Was hat Ihre jüngste Studie zutage gefördert?

Viel mehr Frauen als früher geben heute zu, daß sie belästigt wurden oder werden. In einer ersten Studie 1983/84 habe ich festgestellt, daß 30 Prozent der Befragten belästigt wurden, jetzt gaben das 73 Prozent an. Durch die Öffentlichkeitsarbeit hat sich also das Bewußtsein für sexuelle Belästigung bei Frauen deutlich verstärkt. Für Männer und Institutionen läßt sich das allerdings überhaupt nicht feststellen.

Sind Frauen auch bereiter, sich zu wehren?

Ja. Wobei wir die Beschwerde oder die Androhung einer solchen als die erfolgreichste Abwehr einstufen. Hingegen ist von der Strategie, sofort zurückzuschlagen, eher abzuraten. Ein Betriebsrat aus Düren hat mir vor zwei Tagen von Arbeiterinnen erzählt, die gegen einen Belästiger handgreiflich wurden. Vor dem Gericht hatten sie damit überhaupt keine Chance.

Hier muß ja praktisch noch jedes Gericht darüber aufgeklärt werden, was sexuelle Belästigung überhaupt ist. Ein Gesetz, wie in den USA oder in anderen Ländern, würde vieles erleichtern. Im Rahmen eines Gleichstellungsgesetzes müßte von vornherein ein Passus über sexuelle Belästigung aufgenommen werden — wie im Berliner Landesantidiskriminierungsgesetz, wo das Thema zum ersten Mal überhaupt auftaucht.

Welche Schlußfolgerungen hat die Frauenministerin, immerhin Ihre Auftraggeberin, aus Ihrer Studie und den Empfehlungen gezogen?

Nicht etwa die, daß hier ein Gesetz her muß. Stattdessen hat sie Briefe an die Arbeitgeber und Gewerkschaften verschickt, in denen sie Betriebsvereinbarungen vorschlägt. Doch weder die Arbeitgeber noch die Gewerkschaften sind bisher wirklich bereit, dieses Thema aufzugreifen, obwohl die Gewerkschaftsfrauen von ihren Spitzenmännern seit langem fordern, das Thema sexuelle Belästigung in Betriebsvereinbarungen oder Tarifverträge aufzunehmen.

Egal wie der Fall Thomas ausgehen wird, hat das Thema sexuelle Belästigung damit endlich eine breite Öffentlichkeit gefunden. Hat das auch hierzulande Auswirkungen?

Indirekt schon. Denn wenn unter Umständen auch sehr hohe Beamte gekippt werden können, nehmen zumindest Frauen hier solche Gesetze viel ernster. Auch wir haben eine Vielzahl von Beamten in Leitungs- und Schlüsselpositionen, von denen bekannt ist, daß sie belästigen. Bislang aber traut sich keine Frau, öffentlich gegen sie aufzutreten, lieber sucht sie einen anderen Arbeitsplatz. Uns ist bekannt, daß einige Fraktionen im Deutschen Bundestag zumindest noch Mitte der 80er Jahre Fonds hatten, aus denen Schweigegelder bezahlt wurden für Mitarbeiterinnen — damit sie von einer Beschwerde absahen. Interview: Ulrike Helwerth