Gegen den Ghettomythos

■ „Zorniger Schlaf“, ein Film von Charles Burnett

Das Gesicht eines alten Schwarzen. Schwer und seit einer Ewigkeit sitzt er auf dem Stuhl neben dem Tischchen. Die Kamera umrahmt das Gesicht, dann schwenkt sie langsam nach oben zum Bild einer schwarzen Frau, die begütigend von dort herabblickt, schwenkt langsam nach unten zum Tisch mit einem Körbchen voller Trauben und Bananen: ein bedächtig gezogenes Dreieck — Familienstilleben. Zeitlos melancholisch wie der unterlegte wehmütige Blues.

Dann brennt plötzlich der Obstkorb. Man freut sich über die surrealistische Belebung der ansonsten in der Bewegung arretierten Welt. Später brennt auch ein Tischbein, die Schuhe des sitzenden Mannes, sein Gesicht. Ahnung kommt auf von einem Verhängnis. Erst später weiß man, daß das Verhängnis bereits zurückliegt und darin besteht, daß ein solches Bild nicht mehr herstellbar ist.

In einer Mischung aus realistischen und märchenhaften Elementen gibt der Film nun Einblick in das Innenleben einer kleinbürgerlichen schwarzen Familie, bewegt sich nicht zufällig ausschließlich durch gut ausstaffierte Interieurs, zu denen der BMW ebenso gehört wie Langeweile und Psychokrieg, und die erst durch den Besuch eines „Märchenonkels und raffinierten Schwindlers“ aus der eingeschliffenen Ordnung gerät. Wie der Eindringling (Danny Glover) die Zähne zeigt, hat er was von dem Bösewicht aus Wild at heart; seine Physiognomie weist ihn aus als der Teufel, wie er auf kunstgeschichtlichen Spielkarten später zu sehen sein wird. Mit Hasenpfote und Klappmesser inkarniert er zugleich etwas vom vorchristlich animistischen Erbe der Schwarzen wie eine nachchristlich zynische Haltung, die inzwischen nicht mehr alleiniges Vorrecht der Weißen ist: Als eine Art Mephisto hält er nicht nur das junge Paar vom Kirchenbesuch ab und löst bei einer Hochschwangeren fast eine Frühgeburt aus; er bringt Übel in Form einer beinahe tödlichen Krankheit für den Vater, eines handgreiflichen Bruderzwists, einer Wunde für die Mutter, eines Streits zwischen Mann und Frau — bis ihn die Murmeln eines Jungen erledigen, erlegen: Er rutscht aus, fällt auf den Hinterkopf, stirbt.

Der Außenseiter als Katalysator längst schwelender Familienkonflikte — hier wird er eher als komischer Held dargeboten, der das mögliche Melodram nicht zuletzt durch seinen banalen Tod gar nicht erst stattfinden läßt. Auch der schwarze Priester samt seinen Chorsängerinnen ist eher eine folkloristische Witzfigur: Das Schlimme auch im heutigen Leben der Schwarzen ist diese generalisierte Banalität. In einer fast klassischen Form der Einheit von Raum und Zeit wird das Geschehen in Kurzepisoden, mit Schwarzstrichen getrennt. Erzählt wird wie in einem Bilderbuch, dessen jeweilige Seiten eben nur jenes flache Innenleben zeigen — und worin die Schwarzen selbst vor allem als skurriles Typenkabinett fungieren.

Mit dem Tod Harrys, der makabrerweise im Türrahmen der Küche zusammengebrochen ist und mit seinem massigen Körper den Durchgang versperrt, so daß nicht mehr gekocht werden kann, hat sich wenig geändert: Der Vater steht zwar von den Toten auf, und die streitenden Eheleute liegen sich wieder in den Armen, aber vor allem wird Kentucky fried chicken gegessen: Die Nachbarin lädt zum improvisierten Buffet im Freien ein. Sogar das Happy-End hat nur die Gefühlsqualität dieser Common sense-Nachbarschaftshilfe — Charles Burnett zeigt damit ein Bild der Schwarzen, das den Ghettomythos nachhaltig zerstört. Michaela Ott

Charles Burnett: Zorniger Schlaf , mit Danny Glover, Paul Butler, Mary Alice, USA 1990, 101 Min.