Entscheidende Urteile

■ Oberster Gerichtshof vor brisanten Entscheidungen

Washington (wps/taz) — Wieviel Spaß Clarence Thomas an seiner neuen Arbeit als neuntes Mitglied des Obersten Gerichtshofes haben wird, darüber läßt sich nach dem aufgepeitschten Nominierungsverfahren nur spekulieren. Fest steht, daß der 43jährige schwarze Jurist die konservative Mehrheit des höchsten US-Gerichts ausbauen wird.

Eben dieses Gremium hat in seiner diesjährigen Sitzungsperiode über Fälle zu entscheiden, die die amerikanische Rechtsprechung vor allem in den Bereichen Antidiskriminierung, Verfahrensrechte von Angeklagten in Strafprozessen, aber auch das Recht von Frauen auf Abtreibung auf völlig neue Grundlagen stellen könnten.

So müssen die neun RichterInnen zum Beispiel entscheiden, ob es verfassungsmäßig ist, einen Angeklagten, dessen Verteidigung Unzurechnungsfähigkeit und Verhandlungsunfähigkeit geltend macht, durch die Verabreichung von Psychopharmaka verhandlungsfähig zu machen — so geschehen in einem Mordprozeß im US- Bundesstaat Nevada, der mit einem Todesurteil endete.

In einem anderen Fall wird sich das Gericht mit der Frage befassen müssen, ob der Bundesstaat Mississippi tatsächlich alles Notwendige getan hat, um die Rassentrennung an Colleges und Universitäten aufzuheben. Denn auch heute, fast dreißig Jahre nach dem offiziellen Ende der Rassentrennung, gibt es in dem Südstaat fünf Hochschulen, die fast ausschließlich von Weißen besucht werden — und drei schlechter ausgestattete Schulen mit fast ausschließlich schwarzen Studenten.

Mit Spannung — und auf seiten von Frauen- und Bürgerrechtsgruppen mit Skepsis — werden die Urteile des Gerichts in der Frage der Abtreibung erwartet. Das Gericht muß über die Verfassungskonformität der inzwischen extrem restriktiven Abtreibungsgesetze mehrerer Bundesstaaten entscheiden. Und Clarence Thomas — daran lassen frühere Äußerungen und Entscheidungen des Richters keinen Zweifel — gilt als ausgesprochener Abtreibungsgegner. anb