: Achtung der anderen Identität
■ Eröffnung der 7.Biennale kleinerer Sprachen / Motto: »Zigeuner Leben«
Mit der Eröffnung einer Fotodokumentation über die jüngste Geschichte der Roma und Sinti in Deutschland begann am Mittwoch abend im Literaturhaus die 7. Biennale kleinerer Sprachen unter dem diesjährigen Motto »Zigeuner Leben«. Scheinbar müssen solche Fotodokumentationen, so informativ sie auch sein mögen, immer besonders unsinnlich gestaltet sein, damit der Zuschauer auch den Ernst der Lage begreift und nicht etwa eine Art von künstlerischem Genuß entwickelt. Nur so ist es auch zu verstehen, daß Fotos einer Fotografin, die sie in diesem Jahr in Polen von Zigeunern machte, weder untertitelt waren noch ihren Namen verrieten. Dabei waren mehrere Interessierte der Berliner halb- und ganzintellektuellen Szenerie gekommen, einige wenige sahen sogar ausländisch aus, wenngleich die ersten 45 Minuten der anschließenden Vortrags- und Leseveranstaltung von vier deutschen Männern bestritten wurden, was doch recht ungewöhnlich bis geradezu unhöflich den beiden jugoslawischen Gästen gegenüber war. So begrüßt Herr Münzberg die Anwesenden, Herr Pforte schließt sich an und macht noch schnell darauf aufmerksam, daß hoffentlich bald eine Straße nach Ingeborg Drewitz umbenannt werden soll — wogegen auch im Prinzip nichts einzuwenden ist, nur was haben die Zigeuner damit zu tun?
Hoyerswerda und Hellersdorf dürfen nicht verniedlicht werden, mahnte Herr Pforte weiter und wies noch mal, weil es so in der Luft liegt, darauf hin, daß Akzeptanz und Achtung der anderen Identität sehr stark von einer gefundenen eigenen abhänge — als ob in diesen Zeiten auf diesem Planeten überhaupt noch irgendeiner irgendeine sichere Identität besäße... Dann darf noch mal der Übersetzer und Moderator des Abends ein bißchen ablallen, der Ostberliner Verleger und Herausgeber Wilfried Bonsack referiert unendlich langatmig einerseits, aber in grober Oberflächlichkeit andererseits die gesamte Zigeunerhistorie, wobei ihm auch die eine oder andere Ungenauigkeit unterlief, die aber anschließend in freundlicher Bestimmtheit — und jetzt darf endlich der erste »Zigeuner« sprechen — von Rajko Djuric aus Belgrad korrigiert wurden. So heißt »Rom« eben nicht, wie oft behauptet, »Mensch« (das Romaniwort für »Mensch« lautet »Manusch«); »Rom« ist der Mann, sogar der Ehemann, die Frau ist eine »Romni« — so sind also die Roma viele Männer, aber das ist eine andere Geschichte, die an diesem Abend nicht näher beleuchtet wurde.
Rajko Djuric beginnt seinen Vortrag über die Sprache der Zigeuner mit einem Goethe-Zitat und endet mit Hölderlins »Doch wo Gefahr ist, wächst das Rettende auch« und entläßt das Publikum mit der Vermutung, daß die momentane Problematik Jugoslawiens bzw. Europas möglicherweise nicht mit etymologischen Studien gelöst werden kann. Das war das Stichwort für einen Einwand eines rumänischen Herren, der zum ersten Mal an diesem Abend den allgemein niedrigen Energiespiegel etwas höher ausschlagen ließ — er war mit zwei rumänischen Zigeunern aus einem Asylantenheim gekommen und wollte, statt über Literatur lieber über die momentane und sehr bedrohliche Situation der Zigeuner in Osteuropa sprechen. »Wir müssen darüber reden, welche ethnischen Qualitäten tatsächlich bedroht sind, die Etymologie tut ihnen nicht weh, die Zigeuner müssen uns sagen, wie wir ihnen mit unseren Kenntnissen behilflich sein können, denn sie haben keine Tradition politischer Artikulation.« Der Großteil des Publikums klatschte, allein, der Moderator wollte keine Politik, es gebe in den nächsten Tagen genug Zeit dafür, an diesem Abend solle gelesen werden. Das Publikum murrte nicht, schließlich schreiben wir nicht mehr 1968, ein Drittel ging in der Pause, die anderen lauschten den Gedichten von Rajko Djuric und Jovan Nikolic (Belgrad), die zugegebenermaßen sehr schön anzuhören waren (besonders im Original):
Die Magie des Klanges
Wir haben kein Brot im Haus
Mein Vater wischt den Staub
vom Saxophon
küßt es und bläst.
Kaum ertönt es,
legen die Schmiede den Hammer
nieder
die Kinder brechen ihr Spiel ab
und die Frauen laufen ins Haus
um zu weinen.
Hunde und Katzen bezaubert
nähern sich, ihn zu beschnuppern
und die Vögel werden verrückt
die Terz fangend
und das Gras im Hof wächst
und die Schwertlilie erblüht
und unsere Armut verschwindet.
(Jovan Nikolic)
Insgesamt verschaffte der Abend einen Eindruck etwas liebloser Hast, vielleicht tatsächlich entschuldbar mit dem Einwand des Moderators, die beiden Gäste aus Jugoslawien seien gerade erst in Berlin angekommen und dementsprechend müde, außerdem durch die Vorgänge in Jugoslawien verständlicherweise mit zwingenderen Problemen beschäftigt. Es ist zu hoffen, daß die noch kommenden Tage mehr Raum und Gelegenheit zum Gespräch zwischen Roma, Sinti und Gadsche zulassen. Renée Zucker
Heute abend finden im Literaturhaus zwei Lesungsblöcke statt: um
18 Uhr Reimar Gilsenbach mit Literatur über Zigeuner — Geschichten, Sprichwörter, Schnurren und Wilfried Bonsack mit Gesammelte Texte über Sinti
20 Uhr Milena Hübschmanova und Margita Reiznerova (beide aus Prag).
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen