Panzerstark

■ Faserforscher kreiert Klamotten aus Krebsschalen

Eine dickere Haut wünschen wir uns doch alle zuweilen. Ein US- amerikanischer Wissenschaftler glaubt nun die Lösung gefunden zu haben. Sein Vorschlag: Ein Panzer wie der von Hummern, Krabben und Langusten. Sam Hudson, Faserforscher an der North Carolina State University, hat sich deshalb mit Bergen von Krebsschalen umgeben, die sich an den Küsten des Südens türmen. Die Panzer bestehen aus Chitin, das sich aus vielen aneinandergebundenen Zuckermolekülen aufbaut. Nach der chemisch verwandten Zellulose ist es die zweithäufigste organische Verbindung in der Natur. Während Zellulose, der Baustein der pflanzlichen Zellwände, die Menschheit schon lange in Baumwolle und Viskose hüllt, ist Chitin bisher nur wenig genutzt worden. Das soll jetzt anders werden.

Die Japaner, denen die Schalenberge schon seit längerem über dem Kopf wachsen, nutzen das Chitinderivat „Chitosan“ für die Abwasserreinigung. Chitosan fischt beispielsweise die in Molkereien auftretenden Nebenprodukte aus dem Abwasser und bindet sie an sich. Der so entstehende Klärschlamm kann an Kühe und Schweine verfüttert werden. Chemisch gereinigter Schlamm landet auf dem Müll.

Diese Bindungsfreudigkeit des Chitins will Hudson nutzen, um die Abwässer der Textilindustrie von Farbstoffen zu befreien. Britische Forscher haben zudem festgestellt, daß mit Chitin überzogene Äpfel sechs Monate lang frisch bleiben. Einem US-Team gelang es mittels Chitin, die rote Farbe bei Fleischprodukten über längere Zeit zu bewahren. Diese geschmacklosen Eigenschaften will auch das Pentagon nutzen. Die Armee schämt sich der Plastikverpackungen, die einst GI- Rationen umhüllten und heute die arabische Wüste verunstalten. Sie finanziert die Entwicklung kompostierbarar Verpackungsmaterialien aus Chitin, um künftig leichten Gewissens in den Krieg zu ziehen... Eine zellophanähnliche Haut, die bei Berührung ordentlich knistert und knackt — Chitophan —, hat Hudson bereits fabriziert.

Die Garderobe aus Chitin läßt allerdings noch auf sich warten. Fasern aus dem Derivat „Chitosan“ sind zwar außerordentlich fest. Ein Anzug aus dieser Substanz hält theoretisch besser als ein Gewand aus Stahl. Doch es hapert an der Wasserbeständigkeit. Bei Feuchtigkeit geht der im Labor kreierten Faser die Fa¿on flöten: Ein Kleidungsstück würde bei jedem Nieselregen in losen Falten am Leib hängen. Geschickte Modeschöpfer könnten zwar auch diese Masche zum „dernier crie“ aufbauschen, doch Hudson geht es weniger um schickes Design als um handfeste Stoffe für Sportbekleidung, Zelte und Verbandsstoffe. Bis die Gewebe aus reinem Chitin die Warenhäuser erreichen, muß er noch viel zu lernen. Orientieren sollte er sich am besten an den chitinbekleideten Krebstieren. Deren Gewand löst sich schließlich auch nicht im Wasser auf. Silvia Sanides