: Gesucht wird Friedrich Kiel
■ Ein Symposium in Berlin zum Gedenken an einen vergessenen Berliner Komponisten
Daß zwölf Jahre nach der Gründung der Friedrich-Kiel-Gesellschaft e.V. erstmalig ein Symposium zur Pflege des bedeutenden musikalischen Erbes des Komponisten im »neuen« Berlin, im Ost- und Westteil unserer Stadt abgehalten wird, sollte für unsere Stadt Anlaß sein, diese zu Unrecht vergessenen Werke wieder in das musikalische Repertoire aufzunehmen und schließlich Grund geben, das erhaltene letzte Wohnhaus des Künstlers in der Lützowstraße 92 unter Denkmalschutz zu stellen und fernerhin künstlerischer Nutzung zuzuführen.
In diesem Mietshaus wohnte neben Friedrich Kiel, der als Professor für Komposition die Schüler der Hochschule für Musik (gegründet 1869/70) und die der Meisterklasse für Komposition an der Kgl. Akademie der Künste unterrichtete, auch der Maler Carl Graeb — ein Schüler Carl Blechens —, Hofmaler Friedrich Wilhelms IV., Senator der Kgl. Akademie und einer der bedeutendsten Landschafts- und Architekturmaler des ausgehenden Jahrhunderts. Eine mehr als 30jährige Künstlerfreundschaft verband den Maler und den Komponisten.
»Mit dem weiteren Ausbau des Kulturforums und mit seiner Anbindung an die Stadtmitte wird auch der nördliche Teil der Potsdamer Straße (Lützowstraße) eine erhebliche Aufwertung erfahren. Daß dieses Areal seit den 1860er Jahren eine bevorzugte Wohngegend war und daß bedeutende Persönlichkeiten hier gewohnt haben, wird verstärkt ins Bewußtsein treten.« (H. Börsch-Supan)
Freilich bringt eine Weltstadt und Metropole, zu der sich Berlin seit dem letzten Viertel des 19. Jahrhunderts in stürmischem Aufbruch und mit jähen Zerstörungen entwickelte, eine große Zahl bedeutender Künstler und Wissenschaftler hervor. Deren Hinterlassenschaften zwischen Jubeln, Feiern, Nutzen und Vergessen mußten nicht selten diesen jähen Abbruch mit dem Schicksal der Stadt teilen. Pflege und Erhaltung der Sinn- und Entwicklungszusammenhänge werden in ihren komplexen Erscheinungen zur Mühsal, deren sich die Geschichtsschreibung und die Denkmalpflege häufig entziehen. Das Wort vom Neubeginn hat einen magischen Klang, der das Wort vom Kulturverlust — in der obligaten Baßstimme — mühelos übertönt.
Doch wer war Friedrich Kiel? Friedrich Kiel (1821-1885) wurde in Puderbach/Westfalen geboren. Seine früh entwickelten musikalischen Fähigkeiten empfahlen ihn dem Hofe des Fürsten Wittgenstein. Zur weiteren Ausbildung erhielt er ein Stipendium König Friedrich Wilhelms IV. — vorzüglich zum Studium des hier gesammelten Bach-Werkes und studierte und lebte seit 1842 bis zu seinem Tod 1885 in Berlin.
Sein op. 1, 15 Kanons im Kammerstil für Pianoforte aus dem Jahr 1851, brachte ihm erste Anerkennung und erschien durch Vermittlung Liszts im gleichen Jahr bei Breitkopf&Härtel. In diesem »ernsten Werk tritt er als fertiger Stilist vor sein Publikum. Diese Kanons sind uns die besten Garantien für die Zukunft des Komponisten, die uns durch das unzweifelbare bedeutende musikalische Talent desselben vollkommen gesichert erscheint.« So die Berliner Musikzeitung 'Echo‘ 1852.
Dennoch gelang ihm erst mit der Berliner Aufführung des Requiems op. 20 im Februar 1862 der endgültige Durchbruch als Komponist. Anschließend wurde es in Leipzig in einem Gedächtniskonzert für Felix Mendelssohn-Barholdy aufgeführt und kurz darauf in Magdeburg, Hamburg, Dresden, Breslau, Danzig, Stettin, Stralsund und Moskau.
Die Jahre nach dem Tode Friedrich Wilhelm IV. sind gekennzeichnet von tiefer Unruhe in der Künstlerschaft. Kiel hat uns aus dem Jahr 1862 auch seine Nachklänge, op. 21, hinterlassen, die der Pianist Siegfried Schubert-Weber im Rahmen des Kiel-Symposiums am 20. Oktober in der Matinée in der Oberen Galerie des Hauses am Lützowplatz u.a. spielen wird.
Kiels Leistungen liegen auf dem Gebiet der Kammermusik und der Kirchenmusik, die weniger Publizität besitzen als die Gattungen der Sinfonie, des Solokonzerts oder der Oper. Sein Hauptwerk ist das Oratorium Christus aus dem Jahr 1871 — »eine große Fuge«; auf dem musikalischen Grund der Bachschen Tradition fällt seine Entstehung in die Zeit des Umbruchs in Berlin, das damals Reichshauptstadt wurde. Neuerliche Aufführungen des Oratoriums bei den Haller Bachtagen (1987), in Dresden (1988), in Dessau (1990) beweisen, daß das Werk nichts von seiner Eindruckskraft und Aktualität verloren hat.
In seiner Klaviermusik ist »jene glückliche, mittlere Stimmung gerade für uns etwas so Seltenes, daß es heute den meisten viel leichter sein wird, zur Eigenart Schumannscher und Chopinscher Klavierstücke Zugang zu finden als zu Kiel«, so 1908 Hermann Wetzel.
Auch wenn Kiel sich nie theoretisch betätigte, trugen seine bedeutenden Schüler wie Siegfried Ochs, Paderewski, Kahn, Wilhelm Berger udn Stanford seine grundlegenden Kunstauffassungen weiter. Seine Musik könnte ein Beitrag für die Brandenburgischen Sommerkonzerte 1992 werden. Sie verdient auf dem Weg zur Musik des 20. Jahrhunderts unsere Aufmerksamkeit. Jutta Kern
Friedrich-Kiel-Symposium Berlin 1991: Heute (14.30 bis 17.30 Uhr) und morgen in der Deutschen Staatsbibilothek, Unter den Linden 8
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