Verliebt in die Leiche

■ Der spanische Desillusionist Montalbán

Vázques Montalbán und Pepe Carvalho, der kommunistische Medienstar und sein bücherzündelnder Serienheld und Gourmet — Widerspruchspaare der neuen spanischen Literatur. Acht Kriminalromane und ein gutes Dutzend von Erzählungen sind bisher entstanden — eine kleine Historie des spanischen Postfrancismus mit anderen Mitteln; Geschichte von unten aus der Sicht des „huelebraguetas“, des Hosenschnüfflers.

Denn der Krimiautor Montalbán interessiert sich nicht für das Verbrechen an sich. Die Toten tauchen eher beiläufig auf, versteckt in einem Nebensatz. Vergeblich sucht man in seinen Büchern temporeiche Verfolgungsjagden; der klassische Showdown fällt meist aus. Ebenso verzichtet er auf das feingesponnene Netz von Verdächtigungen und Verwicklungen, in dem ein Sherlock Holmes auf den letzten Buchseiten mit analytischem Scharfsinn den Schuldigen fängt. Weder Suspense noch kombinatorischer Denksport — statt dessen zeichnet Montalbán eine Gesellschaft in ihrer Zeit. Was für Hammett und Chandler das Amerika der vierziger Jahre war, ist bei Montalbán das Spanien nach dem Tod Francos — ein Land im Neuerungsrausch, das vom „Mittelalter“ direkt zum Sprung in die Postmoderne angesetzt hat.

Montalbáns Geschichten sind Geschichten zwischen zwei Welten. Auf der einen Seite das „Barrio Chino“ mit seinen schmuddeligen Kneipen und verwinkelten Gassen, wo das Büro des Detektivs liegt und seine Freunde und Helfer wohnen: der faschistische Schuhputzer Bromuro, der heimlich pornographische Postkarten verkauft und im letzten Roman zum Herzerweichen stirbt; Pepes Freundin Charo, eine Hure mit Prinzipien, der mal die Wirtschaftskrise und mal Aids-Angst zu schaffen machen, und Biscuter, Pepes ehemaliger Gefängnis-Zellennachbar und jetziger Leibkoch.

Auf der anderen Seite die Welt der „gente guapa“, der Reichen und Schönen, die den Detektiv engagieren: der Fußballmanager und Bodenspekulant, der ehemalige Studenten- Revoluzzer und jetzige Joghurtfabrikant, der überdrehte Adelige mit dem Hang zum Perversen. Carvalho sitzt zwischen allen Stühlen. Er hat zuzviel erlebt, um noch irgendwelchen Illusionen nachzuhängen. Als ehemaligen Kommunisten, politischen Häftling und späteren CIA- Agenten interessiert ihn nur noch Bodenständiges: ein gutes Essen — kein Buch ohne mindestens drei Rezepte—, die körperliche Liebe und ein Konto „für die Zeit, wo er als alter Bettnässer auf Hilfe angewiesen sein wird“. Der einzige Luxus des Privatdetektivs mit dem proletarischen Charme ist das Bücherverbrennen: „Er warf alles, was er im Briefkasten fand, in den Abfalleimer und zündete mit Philosophie und ihre Schatten von Eugenio Trias das Kaminfeuer an, wobei ihm klar wurde, daß er das langsame Verbrennen seiner Bibliothek etwas einteilen mußte. Er hatte noch circa 2.000 Bände. Bei einem Buch pro Tag würde das noch circa sechs Jahre reichen.“

Carvalho ist ein Zyniker, der melancholische Anfälle im Alkohol ersäuft. Wenn es für ihn, dem die Verdorbenheit der spanischen Gesellschaft zur Geschäftsgrundlage wurde, so etwas wie einen persönlichen Ehrenkodex gibt, dann ist es die Solidarität mit den Opfern. „Ich verliebe mich immer in die Leiche“, sagt Carvalho einmal. Ihnen fühlt er sich verpflichtet, auch wenn seine Auftraggeber schon längst kein Interesse mehr am Fall haben und die wahren Schuldigen nie geschnappt werden.

Carvalhos Zynismus ist Montalbáns Moral. „Was uns beide verbindet, ist das Gefühl des historischen Scheiterns, daß die Geschichte nicht so verlaufen ist, wie wir es gedacht hatten“ — so hat der katalanische Autor einmal selbst die Parallele zwischen ihm und seiner Hauptfigur bezeichnet. Der 52jährige Autor — bis heute Mitglied der katalanischen PC und selbst ein Jahr im Gefängnis wegen kommunistischer Agitation — ist ein typischer Vertreter des „desencanto“, der großen Enttäuschung der Intellektuellen über die politische Entwicklung Spaniens nach dem Tod Francos. Gleichzeitig ist er einer der wenigen verbliebenen, dezidiert linken Autoren. Immer wieder meldet er sich in Zeitungsartikeln zu Wort und wettert gegen Finanzjongleure, politische Vetternwirtschaft und die drohende „Japanisierung“ seines Landes. Sein Kampf gilt all jenen, die „uns glauben machen wollen, daß wir in der besten aller möglichen Welten leben“. Martin Spiewack

Die Bücher von Manuel Vázques Montalbán erscheinen im Rowohlt Verlag.