Schmiere, Schimmel, Staub

■ Pariser Zeitungen über die Défilés der Sommerkollektionen '92 von Yamamoto, Comme des Gar¿ons, Galliano und Gaultier im Hof des Louvre

Das Foto illustriert einen Artikel im 'Figaro‘, es zeigt ein wunderschönes Mädchen, ihr Seitenblick in die Kamera wirkt ein bißchen skeptisch und müde. Über den Kopf hat sie eine Art Turban gezogen. Sonst trägt sie als einziges Kleidungsstück ein langes Hemd aus weißer und — das ist am Faltenwurf ersichtlich — kostbarer Baumwolle. Trotzdem sieht es aus wie ein Bettlaken, in das zum Zweck des schnellen Überstülpens ein Loch geschnitten wurde. Das Mädchen ist gewissermaßen zufällig auf den Laufsteg geraten. Eigentlich ist sie Malerin und trägt das Laken zum Schutz gegen Farbe. Das Laken wurde von Rei Kawabuko entworfen, es gehört zur Sommerkollektion '92 von Comme des Gar¿ons und dürfte im Laden mindestens tausend Mark kosten. Auch der Artikel der berühmten Mode-Kolumnistin Suzy Menkes in der 'International Herald Tribune‘ ist durch einen Entwurf von Rei Kawabuko illustriert, ein Kleid aus Papier diesmal, ein filigranes Stück: wie ein riesiges Blatt Papier, das zusammengefaltet wurde und in das eine Schere symmetrische Muster schnitt, die sich nach dem Auseinanderfalten unendlich wiederholen.

Die Modeberichterstattung des erzreaktionären 'Figaro‘ könnte einen auf die Idee bringen, daß es eine linke und eine rechte Mode gibt. Neun Tage lang defilieren derzeit im Hof des Louvre die Prêt-à-porter-Kollektionen für den Sommer '92. Tag für Tag und seitenweise kommentiert Janet Samie im 'Figaro‘ und verliert dabei so gut wie nie ihre Tenue, ihr Ton ist der einer Pariser und etwas spitznasigen Dame der Gesellschaft. Nur bei der Show von Comme des Gar¿ons geriet sie aus der Fasson. Schon die Bühne sieht „unfertig“ aus, „als hätten die Arbeiter sie mittendrin liegenlassen“. So auch die Stücke: „Jedes Stück ist unfertig, als wären sie vor der Anprobe aus der Werkstatt geholt werden — oder nach einer Katastrophe. Die Kleider sind aus Papier, Leinwand, manchmal auch aus Stoff. Die Säume sind ausgerissen, die Futter sind zu sehen, statt versteckt zu sein, die Ärmel fehlen, nur das Wattepolster ist zu sehen. Nichts ist fertig, und das ist wirklich schade, denn die Skizzen sind gut, selbst wenn die Jacken durch Scherenschnitte durchlöchert und die Trenchs auf Schulterstücke reduziert sind, die über Blusen aus zerknittertem Packpapier gesetzt werden.“ Die Muster der bedruckten Stücke sehen nach „Wagenschmiere, Staub, Schimmel“ aus. Die Kleider „sehen aus, als wären sie von der Müllhalde geholt. Rei Kawabuko muß ganz schön selbstsicher sein, wenn sie Hunderttausende von Francs für eine unverkäufliche Kollektion ausgibt.“ „Miserabilismus“, schließt Samet, die mit ihrer Kritik nicht allein steht.

„Zerstörung“, ist auch der Kommentar von Suzy Menkes zu Rei Kawabuko. „Wer soll diese intellektuellen Statements tragen?“ Einhellig positiv ist die Berichterstattung der Pariser Zeitungen dagegen bei Kawabukos Kollegen Yohji Yamamoto, der durchsichtiges Spitzenwerk über Unterröcke aus schwarzglänzendem Wachstuch legt. Als das „schönste Stück des Tages“ bezeichnete 'Libération‘ am Freitag ein blutrotes Kleid aus Voile, auf das an einigen Stellen Klammern geheftet sind — „vernarbte Scherenschnitte“.

Auch Jean-Paul Gaultier hat gute Kritiken. 'Libération‘ widmet ihm eine ganze Seite. Er habe in seiner neuen Kollektion die Summe seines Schaffens aus 15 Jahren, 30 Kollektionen, 6.000 Stücken gezogen: Wespentaille, Patchwork der Materialien, Umdeutung von Klassikern.

Der Engländer Galliano habe zwar kaum „richtige Kleidungsstücke“ gezeigt, so Suzy Menkes, aber er verfüge über einen delikaten Sinn für Farbe: Gainsborough- Blau, -Gelb und -Altrosa. Überhaupt sei das 18.Jahrhundert ein Thema bei Galliano. Die wenigen „richtigen“ Kleidungsstücke orientierten sich an Gehröcken aus dieser Epoche. Im übrigen gebe es bei Galliano ein paar elegante und tragbare schwarze Kleider und sexistische Unterwäsche mit Troddeln an Bodys wie bei den Playgirls. Bei Helmut Lang fielen Menkes seidene Poloshirts und die Verwendung von Kunstleder auf. Thierry Chervel