Ein Eldorado für die Gen-Tech-Industrie?

■ Besonders die Sowjetunion und die CSFR gelten als ideale Standorte für Gen-Tech-Investitionen/ Wissenschaftler und Firmen werden dort nicht von den im Westen üblichen strengen Vorschriften belästigt/ Abwanderung von westlichen Firmen möglich

Ein überdimensionaler Vaclav Havel strahlte aus dem Dunkel des Konferenzsaals. Das an die Wand projizierte Konterfei des Dichterpräsidenten der revolutionierten CSFR hatte letzten Oktober im EG-Hauptquartier auf dem Luxemburger Kirchberg eine ungewöhnliche Funktion: Er sollte den aus Europa und den USA angereisten Diskussionsteilnehmern als Orientierungshilfe für ihr besonderes Anliegen dienen. Denn beim „Export risikoreicher Technologien nach Osteuropa und in die Dritte Welt“ spielt Havels Heimatland eine herausragende Rolle. Schließlich seien dort Forschung und Anwendung bio- und gen-Technologischer Verfahren bereits verankert, eine Tradition, die die Regierung aktiv fördert, berichtete Dr. Weigelt von der Kölner Consulting-Firma Gerling. Andererseits würden Wissenschaftler und Firmen in der CSFR wie im restlichen Osteuropa nicht von den im Westen üblichen strengen Vorschriften belästigt. Triftige Gründe also für potentielle Investoren, so die Botschaft, sich verstärkt in Osteuropa und vor allem in der CSFR zu engagieren.

Als idealer Ort gerade für in der Bundesrepublik heftig umstrittene Freilandversuche mit gen-Technischen Produkten gilt die Sowjetunion — zumindest bis zum Umsturzversuch im August. Auch dort ergibt der Mangel an Vorschriften und die Existenz einer zwar unterentwickelten, aber ausbaufähigen wissenschaftlichen Infrastruktur interessante Investitionsmöglichkeiten. Zudem verfügt das Land über nur gering bevölkerte Gegenden weit ab von möglicherweise gefährdeten Ballungsgebieten. Weswegen es für westliche Gen-Tech-Firmen billiger wäre, so Rod Greenshields von GB- Biotechnology, ihre Freilandversuche in der Sowjetunion vorzunehmen. Die vormalige Supermacht verfüge über die größte Biotech-Industrie der Welt. In über 130 mikrobiologischen Fabriken seien etwa 192.000 Leute beschäftigt, berichtet der britische Wissenschaftler. Die meisten wendeten jedoch ausschließlich einfache Biotechniken an, vor allem, um einzellige Proteine herzustellen. Der britische 'Guardian‘ nannte die Situation in einer dieser Anlagen „das erschreckendste Beispiel sowjetischer Industrieverseuchung seit Tschernobyl“.

Die Zeitschrift 'Bio/Technology‘ berichtete im August 1989: „In über 100 Anlagen vermehrt die sowjetische Biotechnologie-Industrie seit Ende der siebziger Jahr mit Hilfe riesiger Fermenter Milliarden einzelliger Organismen, um das von ihnen produzierte Eiweiß als Viehfutter zu gewinnen. Mit einer Jahresproduktion von 1,6 Millionen Tonnen im Jahr 1986 ordneten die Verantwortlichen dem Single-Cell-Protein (SCP) eine Schlüsselrolle bei der stets gefährdeten Nahrungsmittelversorgung zu. Hustenepidemien waren die Folge, chronische Allergien, eine zwanzigfache Erhöhung der Asthmarate und Immunschwächen, die schwere Infektionskrankheiten nach sich zogen. Kinder starben, weil ihr Atmungssystem zusammenbrach. Frauen litten an Schwangerschaftskomplikationen. Nach Schätzungen sind in der Umgebung von Kirishi etwa 100 Menschen durch das freigesetzte SCP zu Invaliden geworden, 4.000 leiden an immer schlimmer werdenden allergischen Erkrankungen. Als man endlich Filteranlagen einbaute, war das Immunsystem der Bevölkerung bereits übersensibilisiert. Zu allem Überfluß funktionierte SCP nicht einmal als Viehfutter. Nach Recherchen der 'Kosomolskaja Prawda‘ starben Tausende von Tieren an den Proteinen. Vor zwei Jahren wurde beschlossen, die Anlagen zu schließen. Wie der Umweltberater des russischen Präsidenten Jelzin letzten Monat jedoch in Brüssel berichtete, „versuchen technikorientierte Kräfte noch immer, die Produktion am Laufen zu halten“. „Dies, so Alexej Jablokow, „müssen wir stoppen, denn unsere Gesellschaft ist nicht reif für Biotechnologie.“ Wohl deshalb empfahl Greenshields in seinem Bericht vom letzten Jahr der EG-Kommission, bei der Erarbeitung von Gen-Tech-Gesetzen die Möglichkeiten für westliche Gentechnologen in Betracht zu ziehen, die sich diesen in der Sowjetunion eröffnen. Konkret deutete der britische Wissenschaftler damit die Möglichkeit an, daß westliche Gentech-Firmen nach Osteuropa abwandern könnten, falls die EG ihre Vorschriften zu streng faßt. Um dieser Entwicklung einen Riegel vorzuschieben, werben die Brüsseler Eurokraten im Rahmen der Assoziationsabkommen mit den Ländern Mittelosteuropas für die Übernahme ihrer Gen-Tech-Gesetze. Die ungarische Regierung hat bereits angekündigt, die EG-Richtlinien übernehmen zu wollen. sb/bull