Mythen, Märchen und Science Fiction

■ Wax oder die Entdeckung des Fernsehens..., Mo., ZDF, 22.40 Uhr

Es mutet an, als hätten Stephen Spielberg, Heinz Sielmann und Nam June Paik gemeinsam einen Film gedreht. Und es war zweifellos einer jener Fernsehbeiträge, bei dem man die Fernbedienung tunlichst außer Reichweite legt, weil es einen als Otto-Normal-Zuschauer bei längeren Experimentalfilmen mittlerweile ständig in den Fingern juckt, den „Bildsalat“ um „eigene“ Zutaten zu bereichern.

Doch wer zu später Stunde noch dieses Maß an Selbstdisziplinierung aufbrachte, konnte mit dem amerikanischen Videokünstler David Blair eine ebenso bizarre wie faszinierende Zeitreise unternehmen.

Freilich, zu „verstehen“ gab es an dieser abstrusen Geschichte um ein mysteriöses mesopotamisches Bienenvolk, hochmoderne High-Tech- Waffen, Seelenwanderung und fremde Planeten im herkömmlichen Sinne wenig. Das Faszinosum bestand in erster Linie in der eigenwilligen Virtuosität, mit der Blair Archivbilder, Spielszenen und das ganze Arsenal an Möglichkeiten der elektronischen Bilderzeugung und -manipulation zusammensetzte.

Da sah man William S. Borroughs in — auf alt getrimmten — Schwarzweiß-Bildern als Bienenzüchter seine Studien treiben, ein Raumschiff über die Mondoberfläche schweben, Raketen starten und explodieren, in unbändiger Freude Reagan und Kohl stumm miteinander konferieren, Kaleidoskope von rätselhaften Buchstaben daherflimmern und dann wieder enen zeitreisenden Imker durch die Wüste von New Mexiko stapfen.

Und zu all dem erzählte eine nüchterne Off-Stimme — als sei's das Selbstverständlichste von der Welt — eine absonderliche Geschichte von Kain und Abel, der Nasa, spiritueller Photographie und vom Fernsehen der Bienen in Form eines seltsamen Kristalls. Eine bizarre Welt aus antiken Mythen, Märchen und Science-Fiction.

Auch wenn man bisweilen nahe daran war, Blair zu attestieren, er müsse entweder völlig stoned oder schlicht nicht ganz bei Trost gewesen sein, eröffneten seine wirren Bildfolgen immer wieder Freiräume, in die man sich assoziativ „einklinken“ konnte. (Und sei es nur für die bescheide „Erkenntnis“, daß ein Imker-Dreß frappierende Ähnlickeit mit einem Astronautenanzug aufweist.)

Obwohl manch selbstverliebte Video- und Computerspielereien wahrlich verzichtbar gewesen wären, konnte man sich bei dieser Mischung aus Ein Platz für Tiere, (Golf-) Kriegsberichterstattung und Raumschiff Enterprise über weite Strecken in die obskure Roman-Welt eines Thomas Pynchon versetzt fühlen. Darüber zu lamentieren, daß ein solcher Film erst zu so später Stunde über den Bilschirm flimmerte, wäre müßig. Eher muß man wahrscheinlich dankbar sein, daß derartige Experimente jenseits der Norm überhaupt noch öffentlich-rechtlich möglich sind. Reinhard Lüke