Machen Visionen kaputt?

■ Der Stadtphilosoph und der Investor im Streit/ Dieter Hoffmann-Axthelm, Architekturkritiker, und Rainer Wagner, Bevollmächtigter von Sony, zum Potsdamer Platz. Das Gespräch moderierte Klaus Hartung

taz: Berlin 1991 und die Investoren, Milliardensummen vor der großen innerstädtischen Brache: Welche Schwierigkeiten wird die Stadt mit den Investoren, welche Schwierigkeiten werden die Investoren mit der Stadt haben? Was ist aus Ihrer Sicht das Hauptproblem?

Hoffmann-Axthelm: Ich sehe zwei unterschiedliche Typen von Investoren: einmal die großen Firmen, die wissen, was sie wollen. Die Landkarte hat sich 1989 verändert, und sie besetzen darauf einfach den Punkt, den sie strategisch für wichtig halten. Dann gibt es die, die glauben, daß in Berlin etwas losgehen wird und die dabeisein wollen. Diese zweite Gruppe ist eher ein Problem, weil sie gar keine Vorstellung von der Stadt und ihrem Funktionieren hatte. Sie reagiert auf vage Stichworte wie „Spreeufer“, „Friedrichstraße“, „Hauptbahnhof“ und weiß dabei oft nicht einmal, daß es gar keinen Hauptbahnhof gibt. Je genauer die Stadt weiß, was sie selber will, je klarer sie die Bedingungen formuliert, desto weniger Schwierigkeiten wird sie mit den Investoren haben. Eine vernünftige städtebauliche Vorklärung wird auch dem Investor zeigen, was seine Investition bringen wird. Schlimmes Beispiel ist die Friedrichstraße. Aufgrund von Vermutungen werden da Passagen, Kaufhäuser, Medienhäuser projektiert. Etliche Investitionen werden vermutlich in den Sand gesetzt, weil nur städtische Öde entsteht. Daß sich Investoren gegenseitig im Wege stehen, ist ja nicht selten.

Herr Wagner, welche Schwierigkeiten haben die Investoren mit der Stadt?

Rainer Wagner: Wir halten uns eigentlich nicht für einen typischen Investor. Auch wenn wir natürlich investieren; wir sind nicht aus der Branche, für uns ist das Projekt am Potsdamer Platz ein Imageprojekt. Wir sind vom Senat eingeladen worden, an einer besonders exponierten Stelle das Gesicht der Stadt mitzugestalten. Wir haben diese Herausforderung angenommen, einmal weil wir den Anspruch haben, erstklassig zu sein; andererseits weil wir natürlich wissen, daß Berlin ein großes, wenn nicht das große Zentrum Europas wird.

Sie wollen aber doch nicht sagen, daß es einen ganz und gar harmonischen Start gibt? Welches waren denn Ihre ersten Erfahrungen mit der Stadt?

Wagner: Ich war natürlich verblüfft zu erfahren, in was für ein vermintes Gelände wir mit diesem Projekt geraten sind, zwischen welchen Fronten und Ängsten wir uns bewegen müssen. Die größte Schwiergkeit ist in meinen Augen das Ausmaß der Ängste, die extreme Vergangenheitshörigkeit und die Neigung, Investoren generell als potentielle Bedrohung aufzufassen. Ich habe den Eindruck, daß Berlin sich noch nicht damit abgefunden hat, nicht mehr Idylle, Schrebergarten, Nische zu sein, wirtschaftlich wie städtebaulich.

Diese Kritik trifft ja nicht die ersten Verhandlungspartner Momper und Diepgen; das geht ja wohl eher gegen die Berliner Kritik, das Stadtforum und gewiß auch die Gruppe, der Hoffmann-Axthelm zuzurechnen ist.

Wagner: Ob Hoffmann-Axthelm dazu gehört, weiß ich nicht genau...

Hoffmann-Axthelm: Ich habe keine Angst vor Investoren. Mein Problem ist, daß man ihnen nicht klar sagt, wo die Grenzen sind. Das ganze Problem mit Daimler-Benz am Potsdamer Platz ist dadurch charakterisiert, daß die Stadt nicht wußte, was sie mit diesem Platz anfangen will, aber die Investition gleichwohl haben wollte. Man geht vor nach der Maxime: Wir holen den Investor, danach kommt die Stadtplanung. Da gibt es eine merkwürdige Spaltung zwischen den Pfadfindern wie Diepgen und Momper, die einfach vor dem großen Kapital strammstehen und den unteren Verwaltungsbeamten, die den Bestand wahren wollen.

Was soll die Stadt wollen? Ich sehe zwei Alternativen: einerseits, erst die große städtebauliche Idee entwickeln und dann bauen; andererseits bestimmte Regeln städtischen Bauens — Stichwort Parzelle, Blockrand, Traufhöhe — durchsetzen und den Rest dem Bauherren überlassen. Letztere Position haben Sie, Hoffmann-Axthelm, vertreten.

Wagner: Berlin weiß nicht, was es will. Es fehlt der Mut und die Fähigkeit zum Grand Design im Städtebau. Genau wie Wolf Jobst-Siedler sehe ich den Mangel eines stadtbaumeisterlichen Gestus, den man früher bei den preußischen Königen oder bei Leuten wie Martin Wagner finden konnte. Statt dessen veranstaltet man Orgien von Wettbewerben, Foren und pseudosachlichen Debatten, die im Grunde nur verbergen, daß man keinen Gestaltungswillen hat oder sich nicht zu haben traut. Es reicht aber nicht aus, jetzt zu sagen, ihr seid ein schwaches Geschlecht; man muß eben Mittel und Methoden einsetzen, um die richtigen Leute zu finden. Das heißt zum Beispiel, daß man Investoren holt, die Visionen haben. Das war die Gesprächsgrundlage mit Diepgen. Jetzt versuchen wir eine Vision zu formulieren. Dann ärgert es mich aber, wenn jemand wie der gegenwärtige Senatsbaudirektor Stimmann erklärt: „Investoren haben keine Visionen zu haben.“ Das sagt er, weil er selbst keine Vision hat. So einer steht in der Tradition derer, die in vielfacher Hinsicht Meuchelmord an der Stadt begangen haben...

Hoffmann-Axthelm: Da muß ich widersprechen...

Wagner: Es mag paradox klingen, wenn ich als Vertreter von Sony sogar sage: Es wäre besser gewesen, man hätte die riesigen Grundstücke am Potsdamer Platz gar nicht erst an private Investoren vergeben, sondern man hätte einen Developer geholt, einen Projektentwickler, wie es in den USA gehandhabt wird. Und nach dessen Arbeit hätte die Stadt ihre Investoren holen können. Wenn man selber nicht kräftig genug ist, sollte man Leute heranholen, die es sind. Es ist eine deutsche Krankheit, daß es so etwas — die Tradition des Public-Private-Partnership — nicht gibt: Hier baut jeder für sich selber, und die Stadt rennt hinterher.

Hoffmann-Axthelm: Ich halte es nicht für eine ungute Tradition. Hier herrscht eine typisch kontinental-europäische Situation. Es ist die Tradition des 19. Jahrhunderts: Der Staat gab die großen Linien vor, und der Bauherr bestimmte, was auf seinem Grundstück gebaut wird. Ich halte die großen Visionen für das Ende des Städtebaus. Wenn man eine Stadt kaputtmachen will, sollte man ihr eine Vision verschaffen...

Wagner: ...und Haussmann in Paris?

Hoffmann-Axthelm: Da ist keine Vision. Er entwarf aus nüchternen Beweggründen; er zog ein Modell einer funktionierenden Stadt rücksichtslos durch, mit präzisen technischen Vorstellungen. Aber mit den Visionen hat meistens das Desaster angefangen. Martin Wagners Vision von der „Autofahrstadt“ hat zu den bekannten Stadtzerstörungen geführt. Leipziger Straße, Mühlendamm, das ist die Vision Martin Wagners. Dann hatten wir den großen Visionär Speer, später Henselmann und schließlich Scharoun — alle haben die Stadt letztlich nur kaputtgemacht.

Herr Hoffmann-Axthelm, welche Visionen befürchten Sie von seiten der Investoren?

Hoffmann-Axthelm: Ich habe ein bißchen Einblick, welche Architekturen auftauchen, wenn von Visionen geredet wird; man muß sich nur die Investorenhandbücher anschauen. Da erkennt man eine sehr ortsabgehobene Architektur einer Stadt als lauter Zeichen. „Zeichen“, das heißt immer Hochhaus. Solche Überschneidungen von „Zeichen“ kämen dann auf den Potsdamer Platz zu. Die Gesamtrichtung ist falsch. Wenn ich von Regeln rede, meine ich gerade keine Vision, keine Bilder, sondern das Wissen, in welchem ökonomischen, sozialen, städtischen Gefüge man sich bewegt. Wenn man Ortsanweisungen, räumliche Größen, Parzellen hat, dann erst kann die Bildarbeit des Architekten anfangen.

Wagner: Es müssen ja keine Hirngespinste, keine Totschlagkonzeptionen sein. Aber wer nicht die Kraft zum Träumen hat, wird keine Stadt schaffen. „Unter den Linden“ wäre nicht ohne Vision entstanden.

Kann nicht Vision heißen: Durchblicke, Veduten, Stadträume?

Hoffmann-Axthelm: Stadtraum, ja. Aber wenn der geschaffen werden soll, braucht man eben keine Visionen, sondern Vorstellungen davon, wie die Stadt benutzt wird.

Wagner: Davon rede ich doch: Vision ist Konzept, Design...

Hoffmann-Axthelm: Ich bin gegen Design...

Wagner: ...das hat überhaupt nichts Monomanisches, Größenwahnsinniges. Die Piazza Navona, der schönste Platz der Welt, hat ein Design. Was im übrigen das Bauen nach Parzellen nicht überflüssig, sondern gerade notwendig macht.

Hoffmann-Axthelm: Das Problem ist doch: Da wird ein Stück Stadt genommen und einem Architekten gegeben. Der soll dann für diese Stadt eine Vision entwickeln. Und so entstehen diese Durchschnittsstadtviertel, die wir in allen Metropolen der Welt finden.

Wagner: Dem innersten Argument, das ich den Schriften Hoffmann-Axthelms, soweit ich sie kenne, entnommen habe, stimme ich zu: Das monolithische Zubauen des Blocks zerstört die Stadt. Was unser Projekt betrifft: Ich werde alles dafür tun, daß das nicht passiert. Ob das Bauen nach dem Parzellenmaß das Allheilmittel sein kann, weiß ich nicht. Wahrscheinlich muß das für neunzig Prozent der typischen Innenstadt-Situationen gelten. Man darf sie aber nicht zum Fetisch machen. Generell gibt es hier im Dorf ja eine starke Neigung zum Historismus. Historisch entstand die Parzelle in Berlin ja so, daß Großspekulanten Gelände aufgekauft und zum Zwecke der Profitmaximierung in Scheiben geschnitten haben.

Hoffmann-Axthelm: Die Parzelle ist etwas Neutrales. In Europa gibt es keine Stadt ohne Parzellen. Nur in Berlin gab es immer wieder und vor allem in den letzten Jahrzehnten den fatalen Glauben, man könne ohne dieses Ordnungsprinzip Stadtbau betreiben. Die Parzelle ist nichts als ein Ordnungsraster. Mich erregt, daß es Leute gibt, die glauben, man könnte jetzt unvermittelt neue Raster erfinden, obwohl die Parzelle Tausende von Jahren funktioniert hat.

Ist es nicht so, daß zwar das Prinzip „Parzelle“ hier in Berlin intellektuell vielleicht akzeptiert wird, aber keineswegs in die Baupolitik eingeht? Aber Sie, Hoffmann-Axthelm, meinen doch ein wenig mehr als ein Raster: Für Sie ist doch die Parzelle auch ein Realwiderstand, der die Stadt und die Bauherrn zur Auseinandersetzung, zur Öffentlichkeit, zu einem Wachstumsprozeß zwingt, der vor allem Zeit braucht. Aber die Investoren und der Senat haben keine Zeit, sondern wollen das fait accompli!

Hoffmann-Axthelm: Es ist nicht nur eine Frage des Tempos. Wir haben am Potsdamer Platz das Problem, daß nicht nur ein City-Bereich geschaffen, sondern gleichzeitig eine Menge Zukunftsfragen geklärt werden sollen. Es entsteht aber ein monolithisches Stück Stadt. Es reicht nicht aus, zwei Stockwerke für die Servicefunktionen freizulassen, die die Menschen, die die oberen Stockwerke benutzen, eben brauchen. Die Frage ist doch: Wie organisiert man einen lebendigen Stadtteil, das Widerstandskräfte und ein Potential zur Selbstorganisation hat?

Wagner: Wir glauben, daß der öffentliche Raum der Kern unseres Projektes sein muß. Die Gestaltung des Potsdamer Platzes wird der Schlüssel für den Berliner Städtebau sein. Aber gegenüber der Stadt bin ich der Rufer in der Wüste, wenn ich sage, für die Stadt muß der Platz das Wichtigste sein. Macht einen hinreißenden, einen großen, einen Zwillingsplatz — und wir richten uns danach! Wenn ich das sage, werde ich verständnislos angeblickt. Wir glauben auch, daß das corporate statement von Sony, das ja auch angezielt wird, nicht so sehr in großartigen Gebäuden bestehen sollte, sondern in öffentlichem Raum. Wir haben natürlich vor, dort in dem Dreieck Weltklassearchitektur zu machen, etwas Spektakuläres — aber nicht nur das: Wir wollen vor allem etwas machen, was die Leute mögen. Sie sollen nicht nur wegen des Angebots, wegen der Geschäfte und Kinos dort hinkommen, sondern auch wegen der Attraktivität des Ortes selbst, wegen der Stimmung. Wir sollten Passagen machen, überglaste Räume. Die baulich kompakten Nutzungen sollten an die Seite geschoben, vom Platz weggerückt werden.

Hoffmann-Axthelm: Das ist genau die Falle, die ich erwartet habe. Das wird die Mischung aus Hamburger Gänsemarkt und Broadstreet in London. Das Problem ist nicht, ob das gute oder schlechte Architektur ist — wenn's nicht so spektakulär ist, ist es eher besser für die Stadt, weil besser amalgamierbar. Aber man muß von diesem Vorbild wegkommen: daß die interessanten Bereiche immer nach Innen kommen, weil man dem städtischen Raum, der natürlich auch Verkehrsraum ist, mißtraut. Wenn man die Entwürfe von Rogers nimmt, sieht man das Problem. Rogers schwärmt für den öffentlichen Raum, nur ist es dann immer der Raum, den er innerhalb seiner Gebäude schafft. Die öffentlichen Verkehrsmittel wie die U-Bahn werden direkt in diesen Raum hineingeführt. Die ganze Architektur ist darauf angelegt, die Leute so schnell wie möglich von der Straße weg in diese Räume hineinzuziehen, und innendrin ist dann die Wunderwelt der Architektur.

Wagner: Uns geht es darum, daß zusätzliche Attraktionen geschaffen werden. Wir glauben, daß der urbanste Raum der Boulevard ist. Wir befürchten, daß die Stadt da eher die Ost-West-Verkehrsachse Potsdamer Platz/Leipziger Straße öffnet und eine sechsspurige Autobahn hinsetzt.

Hoffmann-Axthelm: Eben das ist die Gefahr. Berlin kennt die gestalteten Innenräume ja eigentlich nicht, Passagen gibt es hier kaum. Berlin ist eine Stadt, die sich dem öffentlichen Raum bedingungslos verschrieben hat. Deswegen ist ja die Traufhöhe so interessant...

Wer soll denn nun den öffentlichen Raum gestalten, wenn die Investoren nur den Hamburger Gänsemarkt schaffen können?

Hoffmann-Axthelm: Der ist nicht gestaltbar. Den muß man machen, und dann kommen die Leute und füllen ihn. Wenn man das mit Architektur totschlägt, mit Passagen et cetera, entsteht gerade kein öffentlicher Raum. Der Gendarmenmarkt, die Piazza Navona sind ja nicht durch einen Entwurf entstanden, sondern durch tausend Zufälligkeiten. Im übrigen: Wir haben keinen König mehr. Sony ist nicht der König...

Demokratie als Bauherr?

Hoffmann-Axthelm: Das wäre mir ein zu großes Wort...

Wagner: Etwa der Senat als Bauherr?

Alle: Das wäre zu niedrig...

Hoffmann-Axthelm: Viele Bauherrn oder ein Bauherr, dem das Image egal ist. Den Terrainspekulanten des 19. Jahrhunderts war das Image egal. Sie wußten, daß sie anständig bauen mußten, um hinterher gut zu verkaufen.

Welchen Prozeß haben Sie, Hoffmann-Axthelm, denn im Auge, um zum öffentlichen Raum zu gelangen?

Hoffmann-Axthelm: Den kann man eben nicht artifiziell herstellen. Man kann nur die Bedingungen dafür schaffen, daß er entsteht. Der Potsdamer Platz hängt in seiner Wirkung

an der Geometrie des Leipziger Platzes und der Wildnis vor dem Tor. Im übrigen wird er sowieso immer eine Mißgeburt bleiben, solange nicht die Potsdamer Straße da existiert. Sie ist ja bekanntlich durch die Staatsbibliothek von Scharoun abgeschnitten worden...

Ihr ceterum censeo ist also nach wie vor, die Staatsbibliothek abzuschneiden. Das alte Straßenmuster als Dogma?

Hoffmann-Axthelm: Ja...

Wagner: Es geht doch gerade um den Gegensatz zwischen der Geometrie, dem barocken Oktogon des Leipziger Platzes und der Wildnis des Potsdamer Platzes.

Hoffmann-Axthelm: Richtig. Das heißt aber, daß die strenge Form des Leipziger Platzes auf den wilden Individualismus des Potsdamer Platzes stoßen müßte. Aber wenn das Gelände schon in der Hand von vier Padroni, von vier Investoren ist, dann wird da eben nicht individualistisch gebaut.

Wagner: Drei Adressen, die einen Ruf zu verlieren haben, sind besser als 30, die nur auf die Rendite achten. Im übrigen habe ich ja schon gesagt, daß ich an Stelle der Stadt das Gelände nicht aus der Hand gegeben hätte.

Hoffmann-Axthelm: Das ist eben meine Frage, was tun wir, nachdem das Kind in den Brunnen gefallen ist? Es hilft ja nicht, sich darüber zu beklagen. Also fragt sich, wie kann der Platz funktionieren? Ich traue das der Konzeption von Rogers nicht zu. Wie ist Individualität herstellbar, wie kann eine solch große Maschine, die dahin gesetzt wird, wieder individualisiert werden? Daran müßten doch die Bauherren ein Interesse haben. Immerhin gibt es auch bei Weltkonzernen inzwischen Ideen zur Dezentraliserung. Allein die Bebauung des Grundstücks — bei Beibehaltung der Berliner Traufhöhe — würde bedeuten, eine große Maschine hinzusetzen.

Wagner: Aha, jetzt kommt die heiße Kartoffel...

Hoffmann-Axthelm: Ja. Man kann aber auch nicht umgekehrt, wie es die IBA gemacht hat, diesen großen Komplex künstlich in einzelne Portionen zerschneiden und diese dann verschiedenen Architekten geben; man muß vielmehr jedem einzelnen Moment in diesem Komplex organisatorisch ein Stück Selbstbestimmung und Anarchie geben.

Wagner: An diesem Punkt bin ich weitgehend einverstanden. Aber es geht ja noch um die heiße Kartoffel, die Traufhöhe und die Blockrandbebauung. Eine flexible, offene, einzelteilige Bauweise ist nicht machbar, wenn eine Traufhöhe vorgeschrieben ist. Das bedeutet eine ungeheure Dichte. Aber wenn man was Vernünftiges machen will, muß Platz da sein. Es sei denn, man macht es so wie im 19. Jahrhundert und haut Hinterhöfe hinein.

Hoffmann-Axthelm: Die Traufhöhe ist ein traditionelles Ordnungsprinzip der Stadt, des öffentlichen Raums. Für Berlin ist diese harte Trennung von öffentlichem Raum und Privatraum charakteristisch. Ihr baut nicht irgendwo in der Stadt, sondern an einer ihrer sensibelsten Stellen, und da ist notwendig, daß die Eigenschaften der Stadt erscheinen. Ich sehe jeden Tag Investorenzeichnungen. Es ist immer die gleiche Lyrik, der gleiche Ton. Alle kommen sie mit Helmut Jahn oder ähnlichen Architekten. Es geht aber nicht um gute oder schlechte oder Weltklassearchitektur.

Wagner: Die Systematik der Problematisierung finde ich exakt. Aber das historisierende Argument — jenes „Das hatten wir niemals und wollen wir auch nicht“ — erinnert mich an den Satz: „Berlin ist da, es muß nicht erst erfunden werden.“ Ein törichter Satz. Abgesehen davon, daß es niemanden gibt, der Berlin neu erfinden will, ist Berlin immer neu erfunden worden.

Hoffmann-Axthelm: Der Satz stammt von mir.

Wagner: Dann müssen Sie damit leben.

Hoffmann-Axthelm: Die Stadt hat wirklich einen Überlebenskampf vor sich. Sie wird in eine der schwersten Identitätskrisen ihrer Geschichte geraten...

Wagner: Ach, wieder einmal!

Hoffmann-Axthelm: ...und da scheint es mir unverzichtbar, daß man sich darüber verständigt, daß es einen Stadtgrundriß, einen Stadtcharakter gibt. Es wird in der unendlich großen Stadt unendlich viel neu gebaut werden. Da braucht man sich über den Historismus nun wahrlich keine Sorgen zu machen.

Wagner: Bei der alten Innenstadt wäre allerdings die äußerste Behutsamkeit angebracht. Die Erhaltung des Oranienplatzes, wo ja noch alles da ist, muß zum Beispiel gesichert werden. Aber am Potsdamer Platz ist ja die alte Struktur verschwunden.

Wenn Sie, Hoffmann-Axthelm, die Identität Berlins beschwören, dann müssen Sie doch sagen, wie wird sie am Potsdamer Platz, der ja am Nullpunkt ist, hergestellt? Muß sich da der Stadtphilosoph mit den Investoren zusammentun?

Hoffmann-Axthelm: Der Stadtphilosoph muß sich mit der Stadtplanung zusammentun. Es geht um zwei unterschiedliche Ebenen. Um Ordnungsprinzipien, wozu gehört, daß der Potsdamer Platz eben der Ausgang der alten Innenstadt ist. Und außerdem reden wir über Komplexität, Veränderung der Arbeitsgesellschaft, Verringerung der Lebensarbeitszeit. Diese gesellschaftlichen Änderungen müssen sich auch in der zukünftigen Stadt niederschlagen. Die Stadtphilosophie muß in die Unternehmensphilosophie eingehen. Deswegen ist das Imagedenken so unproduktiv. Die großen Unternehmen haben nichts anderes im Kopf, als ein Markenimage hinzusetzen.

Wagner: Genau das wollen wir nicht machen. Wir wollen kein Pan-Am- Building, wir wollen den öffentlichen Raum gestalten. Das Ensemble selbst ist die Herausforderung. Sie versuchen, Ihre Berührungsängste mit dem Investor einigermaßen gepflegt über den Tisch zu bringen...

Hoffmann-Axthelm: Ich kann mit einfach lebhaft vorstellen, was dort hinkommen wird. Ich kenne doch diese Weltklassearchitekten.

Wagner: Ich finde die behutsamen Stadtrettungen in Kreuzberg und anderswo wunderschön. Aber da wohnt man ja. Was für 90 Prozent der Stadt gilt, gilt eben nicht für zehn Prozent der Stadt. Zur Stadtsymphonie gehört auch das fortissimo, gehören die Höhepunkte. Und da endet Ihre Weisheit. Da bringt das Parzellenmodell als allgemeines Entwicklungsmodell eben nichts. Da braucht es den Stadtbaumeister, der erst einmal den Gendarmenmarkt oder die Piazza Navona entwirft. Man kann nicht wie Stimmann sagen, der Platz ist Teil der Friedrichstadt. Das ist historisch falsch und falsch auch in dem Sinne, hier gewissermaßen zu sagen, wir setzen einfach die normale Blockstruktur fort. Auch diese Generation muß den Mut haben, einen Paukenschlag zu setzen. Davor haben Sie Angst.

Hoffmann-Axthelm: Ich frage Sie: Wie werden Sie mit der Forderung nach Individualität, nach Individualisierung von Großstrukturen fertig? Von einem Konzern wie Sony erwarte ich ein intelligente Antwort auf die modernen Ansprüche von Komplexität, Kleinteiligkeit, Dezentralisierung. Zu meiner Enttäuschung höre ich nur von Passagen. Noch eins: Wenn man genau hinschaut, ist der klassische Block in der Friedrichvorstadt ja hoch flexibel. Den Forderungen unserer Zeit entspricht er viel mehr. Die Idee der Passage stammt hingegen aus dem 19. Jahrhundert, und dorthin gehört sie auch.

Im Grunde meinen Sie beide mehr oder weniger, daß es auf den Weltklassearchitekten nicht ankommt, sondern auf die Definition des öffentlichen Raums. Sie, Hoffmann- Axthelm, verlangen Strukturen und Zeit. Wer soll das durchsetzen? Wer muß da mit wem reden?

Hoffmann-Axthelm: Das ist genau das Problem. Mit der Stadt konnte man bisher nicht reden. Da fehlt Kompetenz. Eigentlich muß man mit dem Investor reden. Wenn ich für den Potsdamer Platz zuständig wäre, hätte ich den Kontakt aufgenommen. Aber so, wie es jetzt ist, habe ich vor einem Jahr den Platz für mich abgeschrieben. Andere Sachen sind wichtiger. Das mit dem Potsdamer Platz ist gelaufen. In einer kleinen Arbeitsgruppe beim Bausenat zeichnen wir gegenwärtig verschiedene Schlüsselsituationen der Stadt durch, bevor der Investorendruck alles vorentscheidet...

Rainer Wagner, Sie plädieren für den Paukenschlag. Nun sind aber vier Großinvestoren am Platz versammelt und beklagen sich über den Mangel an Gesprächspartnern. Wie soll da ein Konzert entstehen und nicht eine Konkurrenz von Firmen- Images?

Wagner: Ich finde es notwendig, daß über diesen Platz politisch gestritten wird. Aber die Stadt ist politisch zu oberflächlich. Niemand redet wirklich mit uns: Die einen sagen: Macht mal! und wollen nicht wissen, was wir machen; die anderen sind prinzipiell dagegen und wollen es auch nicht wissen. Und dann gibt es noch die Heckenschützen.

Von dem städtebaulichen Wettbewerb für den Potsdamer Platz hatten Sie ja ohnehin nicht viel erwartet. Ist Ihre Geringschätzung nach dem ersten Preis für Hilmar/Sattler nun bestätigt?

Wagner: Angesichts der massiven Kritik an Sattlers Entwurf — ich nenne nur die Verrisse von Siedler, Kohlhoff und Forster — will ich erwähnen, daß er auch seine starken Seiten hat. Die strenge Geometrie, die berlinische Lösung. Aber — und das ist das Bedauerlichste — der Entwurf ist von den Berliner Politikern nicht wegen seiner Qualitäten erwählt worden, sondern weil er die geringste Bauhöhe hat. Die Jury ist mit dem Zentimetermaß vorgegangen.

Wird es jetzt Krieg geben, politisches Powerplay: die Investoren mit Rogers gegen den Bausenat mit Sattler?

Wagner: Rogers und Sattler müssen sich zusammensetzen. Ich halte eine gemeinsame Lösung für möglich, denn so diametral entgegengesetzt, wie Stimmann es postuliert, sind die beiden Entwürfe nicht. Das Problem wird vielmehr Stimmann sein, der Sattlers Entwurf zum Credo erhoben hat. Er ist ein Fanatiker der Blockstruktur, und damit geht nichts mehr.

Hoffmann-Axthelm: Zum Ergebnis des Wettbewerbs: Das Schlimmste ist verhütet worden. Aber der preisgekrönte Entwurf ist zu starr. Wie man Mischung, Übersichtlichkeit, Foren in einem Modul von 50 mal 50 Metern mit zwölf Stockwerken realisieren will, weiß ich nicht. Ich bin für kleinere Einheiten, die mal höher, mal niedriger sind. Ich weiß aber nicht, was jetzt passieren wird. Die Binnenverhältnisse zwischen den Investoren durchschaue ich nicht. Jedenfalls waren sie schon vor dem Wettbewerb ungeheuer nervös, mit dem Ergebnis ist offenbar eine Grenze überschritten worden. Der Druck auf die Politik wird ganz stark werden.