Eiertanz um Kronzeugen Werner Lotze

■ Bundesgerichtshof hebt Zwölf-Jahre-Urteil gegen den RAF-Aussteiger teilweise auf und bestätigt die korrekte Anwendung des Kronzeugengesetzes/ Anwalt Hofmann: „Juristisches Hochreck“

Berlin (taz) — Der Bundesgerichtshof hat das Zwölf-Jahre-Urteil des Bayerischen Obersten Landesgerichts gegen den RAF-Aussteiger Werner Lotze „teilweise aufgehoben“ und zur erneuten Verhandlung an das Oberste Bayerische Landgericht zurückverwiesen. Gleichzeitig bescheinigen die höchsten Richter ihren Münchner Kollegen in letzter Instanz, die umstrittene Kronzeugenregelung korrekt angewandt zu haben. Mit dem Spruch setzt der Bundesgerichtshof den Eiertanz fort, den die Bundesanwaltschaft seit dem ersten Schuldspruch im Januar aufführt. Das harte Urteil gegen Lotze war damals mit allgemeinem Kopfschütteln quittiert worden.

Der 3. Strafsenat folgte in seinem Beschluß dem Vortrag der Bundesanwaltschaft, die sich gestern früh überraschend doch noch zu einer eigenen Revisionsbegründung durchgerungen hatte. Danach hat das Münchner Gericht Lotze zu Unrecht einen Mordversuch an einem zweiten Polizisten vorgeworfen, nachdem der damalige RAF-Aktivist im Verlauf einer Schießerei im Jahr 1978 zunächst einen Polizisten erschossen hatte. Lotze war unmittelbar nach dem tödlichen Schuß geflohen. Lotzes Anwalt Dieter Hoffmann hatte diese Konstruktion am Morgen mit der Bemerkung kommentiert, damit begebe sich die Bundesanwaltschaft endgültig ans „juristische Hochreck“. Hoffmann verlangte vergeblich, das Urteil vollständig aufzuheben, weil das Münchner Gericht bei der Interpretation des Kronzeugengesetzes „zu kurz gegriffen“ und in der Urteilsbegründung „mechanistisch, vordergründig, letztlich sogar unmenschlich“ argumentiert habe. Hoffmann verwies auf den Spruch des Oberlandesgerichts Koblenz gegen den RAF-Aussteiger Henning Beer (sechseinhalb Jahre). Darin war den Kronzeugen der außerordentliche Wert ihrer Aussagen ausdrücklich attestiert worden. Sie hätten „einen ideologischen Grundpfeiler der RAF beschädigt“.

Der Bundesgerichtshof sanktionierte mit seiner Entscheidung im Kern eine bemerkenswerte Pirouette der Karlsruher Bundesanwaltschaft. Bundesanwalt Pflieger hatte Ende Januar lediglich neun Jahre für Lotze gefordert und unmittelbar nach dem Urteil selbst Revision gegen den Zwölf-Jahre-Spruch des Bayerischen Obersten Landesgerichts eingelegt. Generalbundesanwalt von Stahl begründete die Revisionsankündigung seinerzeit auch öffentlich: Die Kronzeugenregelung sei von den Münchner Richtern „nicht richtig angewandt worden“. Das Gericht habe insbesondere dem Ziel der Regelung, „Attentate aufzuklären und die Strukturen der RAF bloßzulegen“, im Urteil gegen Lotze „zu geringen Wert beigemessen“.

Nachdem im Mai die schriftliche Begründung des Urteilsspruchs vorlag, knickte Karlsruhe vollständig ein. Die Entscheidung sei „wasserdicht“, hieß es plötzlich. Schriftlich setzte Pflieger den in Berlin einsitzenden Lotze unter Druck, er möge einem Verzicht auf den Gang nach Karlsruhe zustimmen, weil die Urteilsgründe „keine Rechtsfehler zu Ihrem Nachteil erkennen lassen“. Lotze wollte die Kehrtwende seiner Ankläger allerdings nicht nachvollziehen. Daraufhin entschuldigte sich die Bundesanwaltschaft in einem weiteren Schreiben bei den Münchner Richtern, daß die Revision wegen der „Weigerung des Angeklagten“ nun doch stattfinden müsse, obwohl „die rechtlichen Bedenken durch die schriftliche Begründung ausgeräumt“ seien. Gerd Rosenkranz