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: Begriffsstutzig

■ Das 'Neue Deutschland‘ sieht sich absichtsvoll ruiniert

Die einzige „sozialistische Tageszeitung“ Deutschlands soll zur Strecke gebracht werden. Mit den Mitteln eines „quasi perfekten Mordes“ macht sich Bundesinnenminister Schäuble schuldig am Tod des 'Neuen Deutschland‘, mit Hilfe seiner „Richter und Beisitzer“ eines „Tribunals“, das sich Unabhängige Kommission zur Überprüfung von Sondervermögen nennt.

Der Vorwurf, der seit zwei Tagen im 'ND‘ ausgebreitet wird, wiegt schwer. Die empörten Anschuldigungen der Zeitung, die über direkte und indirekte Beteiligung zu 100 Prozent der PDS gehört, bezieht sich auf die Weigerung der Unabhängigen Kommission, Gelder aus dem treuhänderisch verwalteten Altvermögen der Partei für die notwendige Sanierung des 'Neuen Deutschland‘ freizugeben. Zu Recht begründet die Kommission ihre Entscheidung mit dem Hinweis, die geforderte Finanzierung käme letztlich einer staatlichen Beeinflussung zugunsten eines parteipolitischen Organs gleich. Dem Argument wird sich speziell das 'ND‘ kaum entziehen können, nachdem es im Juli dieses Jahres aus Protest gegen die geplante Bestellung eines Treuhand-Buchhalters tagelang auf der Titelseite in dicken Balken die Nachricht verbreitete, „die einzige deutsche Tageszeitung unter direkter Regierungskontrolle“ zu sein.

In seiner Selbstdarstellung als politisch verfolgtes Organ offenbart sich die Kontinuität alten Denkens. In „besseren Zeiten“, als das 'ND‘ noch zentrales Sprachrohr der herrschenden SED war und sich für gelegentliche Diffamierungen oppositioneller Meinungen zur Verfügung stellte, waren fast alle „Regierungsmaßnahmen“ — als solche wird die Entscheidung der Unabhängigen Kommission begriffen — mit politischen Absichten verknüpft. In genau dieses Raster paßt denn auch die im 'ND‘ prominent plazierte Äußerung eines Prof. Walter Markov, daß „kritischen und an den Lebensinteressen der einfachen Menschen orientierten Zeitungen es natürlich zu allen Zeiten schwergemacht [wurde]“. Für die DDR trifft es jedenfalls zu.

Die Märtyrerhaltung des 'Neuen Deutschland‘ verstellt natürlich auch den Blick auf rapide sinkende Auflagenzahlen. Von ehemals 1,5 Millionen Exemplaren werden derzeit nur noch 90.000 täglich verkauft. Nach wie vor verströmt das Blatt überwiegend Langeweile. Selbst der winzige Raum ist weggefallen, in dem die Leser früher noch zwischen den Zeilen lesen durften. Hinzu kommt, daß sich Parteizeitungen sowieso auf dem Medienmarkt — unsubventioniert — nicht halten können. In diesem speziellen Fall hier aber scheint nicht nur das 'Neue Deutschland‘ in seiner neuen, „von der Treuhand gewährten Vogelfreiheit“ (ND) an Leserschwund zu kranken, auch die dazugehörige PDS leidet an zunehmender gesellschaftlicher Bedeutungslosigkeit. Partei und Zeitung haben offensichtlich immer noch nicht begriffen, daß sie sich dem politischen und publizistischen Markt stellen müssen. Barbara Geier