Die deutsche Minderheit in Polen ist zerstritten

■ Im Wahlkampf treten Mitglieder der deutschen Minderheit auf zwei unterschiedlichen Listen gegeneinander an

„Es ist ein großes Unglück geschehen“, meint Dietmar Brehmer, „Deutsche treten im Wahlkampf gegen Deutsche an.“ Brehmer war bis Mitte letzten Jahres Generalsekretär des Zentralrats der deutschen Minderheit in Polen — selbsternannt, befanden seine Kollegen aus Oppeln, und setzten ihn vor die Tür. Brehmer war schon damals gegenüber den deutschen Landsmannschaften und dem Bund der Vertriebenen (BdV) kritisch eingestellt. Während die Oppelner Minderheitenaktivisten stramm auf BdV-Kurs immer nur von den „Gebieten jenseits von Oder und Neiße“ sprachen, ließ Brehmer, der nun zum Senat kandidiert, keinen Zweifel daran, daß an der Grenze nicht zu rütteln sei.

Nach seinem Hinauswurf gründete Brehmer die Organisation „Zukunft und Versöhnung“, die sich vor allem auf die „Deutschen Freundeskreise“ (DFK) in der Kattowitzer Wojewodschaft stützt. Die stellten zu Beginn des polnischen Wahlkampfes dann auch ihre Kandidaten auf — zunächst im Rahmen der Liste „Zukunft und Versöhnung“. Dann, so lassen DFK- Mitglieder im Gespräch durchblicken, sei ein Wink aus Oppeln und aus BdV-Kreisen gekommen. Henryk Masson, DFK-Vorsitzender aus Ruda Slaska (Friedenshütte): „Die Oppelner Liste der Minderheit begann, aus den DFK in Kattowitz heraus Gegenkandidaten aufzustellen.“ Statt einer gemeinsamen Liste, die Chancen auf ein Mandat gehabt hätte, treten nun in Ruda Slaska zwei deutsche Listen gegeneinander an. Massons DFK ist gespalten: Auf der einen Seite Brehmers Leute, die eher apolitisch vor allem Kulturarbeit machen wollen, auf der anderen die Deutschnationalen der Oppelner Zentrale, die mit dem Geld der Vertriebenenverbände in Schlesien ein „Deutschland im Kleinen“ auf die Beine stellen wollen. Auf Versammlungen in der Oppelner Gegend wird selbst der CSU-Bundestagsabgeordnete Hartmuth Koschyk, der letztes Jahr in Schlesien noch ein Plebiszit über die Zugehörigkeit der Region zu Polen organisieren wollte, als Verräter beschimpft, seit er aus Protest gegen die unnachgiebige Haltung seines Chefs Herbert Hupka nach Unterzeichnung des polnisch-deutschen Grenzvertrags als Generalsekretär des Bundes der Vertriebenen zurücktrat.

In Ruda Slaska, so erinnert sich ein DFK- Mitglied, hat man die Unterschriftslisten, mit denen das Plebiszit damals erzwungen werden sollte, nach Erhalt verbrannt. Masson, der sonst nicht gern über Politik spricht: „Wir waren uns klar darüber, daß wir die Finger von der Grenzfrage lassen müssen.“ Die Grenz-Agitation nennt er „eine Ideologie des Hasses“. Die gemäßigten Deutschen aus der Kattowitzer Gegend haben ihre Standfestigkeit den Vertriebenenfunktonären gegenüber teuer bezahlen müssen. Während in Oppeln das Vertriebenenorgan 'Schlesische Nachrichten‘ praktisch umsonst und 'Die Welt‘ weit unter Preis zu haben ist, leisten sich die DFK-Mitglieder in Ruda Slaska aus eigenen Mitteln eine Sonntagszeitung, die dann die Woche über von Hand zu Hand geht. Statt einer mit Vertriebenenpublikationen und nationalem Ideengut bestückten Bibliothek haben sie ein paar selbstgemachte Bücherregale mit Romanen aus den frühen fünfziger Jahren, die ihnen Verwandte und Bekannte aus Deutschland mitbringen. Viele Minderheitsfunktionäre in der Oppelner Gegend haben schon lange selbst in ihren Privathäusern Satellitenantennen — in Ruda Slaska gibt's nicht einmal einen Schwarzweißfernseher im Vereinslokal. Klaus Bachmann, Ruda Slaska