Ahnungslos in verpesteten Räumen

■ Viele Plattenbau-Wohnungen der Ex-DDR sind mit krebserregendem Asbest verseucht/ Insgesamt wurden 500 Millionen Quadratmeter Asbestzementplatten verarbeitet: 30 Quadratmeter pro Kopf

Hamburg (dpa) — Ungezählte Fabrikgebäude, Büroetagen und Wohnhäuser in Ostdeutschland sind mit hochgradig krebserregendem Asbest verseucht.

In den rund zwei Millionen Plattenbau-Wohnungen in der ehemaligen DDR ist dieser giftige Faserzement offenbar in großem Umfang verbaut worden. Das geht aus unveröffentlichten Untersuchungen des Umweltbundesamtes hervor, über die auch das Nachrichtenmagazin 'Der Spiegel‘ in seiner neuesten Ausgabe berichtet.

Das Blatt zitiert außerdem Berichte des Magdeburger Hygiene-Instituts, wonach durch Alterungsprozesse asbesthaltige Spachtelmasse in den Plattenfugen freigesetzt wird und in die Wohnräume dringen kann.

In 60 Plattenbauten des Typs MLK (Metall Leichtbau Konstruktionen) in Sachsen-Anhalt seien, so berichtet 'Der Spiegel‘, ganze Trennwände und Fußböden aus schwachgebundenem Asbest gefertigt.

In über tausend Wohneinheiten in Berlin-Friedrichshain seien sogar Küchen und Bäder mit sogenannten Sokalit-Platten, die 15 Prozent des gesundheitsgefährdenden Dämm- und Feuerschutzmaterials enthalten, ausgekleidet. Asbest-Experten des Berliner Umweltbundesamtes hätten „noch keinen vollständigen Überblick“ über die Asbestbelastungen in Ostdeutschland, es würden aber „immer wieder neue Funde gemacht“.

Die Produktionsziffern der DDR- Asbestwerke, heißt es weiter, würden bis heute geheimgehalten. Mit jährlich 56.000 Tonnen Asbest habe der SED-Staat zuletzt ein Prozent der Weltproduktion des Faserstoffes verbraucht.

Während die Industrie in Westdeutschland 1989 pro Bürger durchschnittlich weniger als ein Kilo Asbest verwendete, belief sich der Verbrauch im Osten auf jährlich dreieinhalb Kilo. Insgesamt seien in der Ex- DDR 500 Millionen Quadratmeter Asbestzementplatten verarbeitet worden — durchschnittlich 30 Quadratmeter pro DDR-Bürger.

Im Westen ist die Verwendung von Asbest im Bau seit einem Jahr verboten. Von den Gesundheitsbehörden der DDR, so der 'Spiegel‘, sei bereits 1981 eine „Asbestvorschrift“ erlassen worden, worin eine Minimierung asbesthaltiger Stoffe gefordert wurde. Die Gefährlichkeit des feuerfesten Stoffes war durchaus bekannt.

Um der Gerechtigkeit Genüge zu tun, soll jedoch erwähnt werden, daß nicht nur die Bevölkerung des SED- Staates schutzlos den Giftstoffen ausgeliefert wurde. Nein, selbst hohe DDR-Funktionäre nahmen sehenden Auges in asbestverseuchten Gebäuden Platz, darunter auch die Volkskammerabgeordneten in Erich Honeckers nun vom Abriß bedrohtem „Palast der Republik“. Unter Aufhebung sämtlicher entsprechender Vorschriften wurde 1974 der „Palast der Republik“ in Ost-Berlin quasi aus Asbest gegossen. Im September 1990 mußte das verpestete Gebäude geschlossen werden.