Kein Ende für die Gänsehaut

■ Die jugoslawischen Schriftstellerinnen Emina Kamber und Marusa Krese lasen in der »Scheherazade-Reihe« der LiteraturWERKstatt/ Was gegen den Bürgerkrieg tun?

Ob wohl das Wünschen hier noch hilft? Aladins Wunderlampe auf dem Tisch, drei zerfledderte alte Bände der Märchen aus 1001 Nacht neben sich — so begannen die beiden jugoslawischen Dichterinnen Emina Kamber und Marusa Krese ihre Lesung. Am Samstag abend in der Pankower LiteraturWERKstatt ging es im Rahmen der Reihe »Scheherazade nach dem Golfkrieg« gegen den Krieg, diesen Bürgerkrieg in Jugoslawien, dessen komplizierte Fronten hierzulande so viele zum Anlaß nehmen, um sich kopfschüttelnd abzuwenden. Doch wer dort geboren ist wie die jetzt in Hamburg wohnende Lyrikerin Emina Kamber, wer um die eigene Familie und die wohlvertrauten serbisch-kroatisch-muslimanischen Nachbarn in Bosnien zittern muß, der weiß, daß es »kein Ende für unsere Gänsehaut« gibt, wie es in einem ihrer Gedichte heißt. »Und immer wieder die trüben Nachrichten, begleitet von dem Requiem der Toten. Und immer wieder hören die Väter die Schreie der verlassenen Söhne nicht.«

Marusa Krese, geboren in Slowenien, Psychotherapeutin und Lyrikerin in Ljubljana, London, Berlin, las aus ihrem demnächst erscheinenden Gedichtband Gestern Heute Morgen und ihrem kürzlich in der 'Zeit‘ erschienenen Artikel »Abschied von Slowenien«. Ein Abschied voll Trauer um das ganze Jugoslawien, seine Schönheiten, sein Völkergemisch. Seit dieser gegen alle Nationalismen gerichteten Veröffentlichung, so berichtete sie, habe sie viele Freunde verloren, Intellektuelle, Schriftsteller, die sich auf die nationalistische slowenische Seite geschlagen hatten. »Es tut mir weh, wie einige Männer über mein Land entscheiden«, schrieb sie. Und dann ein Satz, der die schöne, die neue Demokratie als Männersache ausweist: »Ich fürchte mich vor der Herrschaft der kleinen Männchen« — so wenige Frauen wie derzeit habe es seit Jahrzehnten nicht im slowenischen Parlament gegeben.

»Als erstes werden Pässe, Zollstationen, Grenzen eingeführt. Ist nationale Identität vor allem ein Problem der Männer?« fragte die Ostberliner Autorin Brigitte Struzyk, Initiatorin dieser Lesereihe. Nein, ganz so einfach sei es leider nicht, meinten die beiden Jugoslawinnen, erinnerten aber gleichzeitig an die Verschärfung der Abtreibungsregelung als Beispiel dafür, daß Nationalismus immer einhergeht mit der Unterdrückung des weiblichen Geschlechts.

Was aber kann getan werden gegen dieses sinnlose Gemetzel dort unten? Hildegard von Meyer von den Berliner »Frauen für den Frieden« schlug eine moralische und materielle Unterstützung der Friedensfrauen vor, die in Sarajewo oder andernorts verzweifelt, isoliert voneinander, ohne Telefon und Telefax, gegen die Einberufung ihrer Söhne und gegen Krieg und Nationalismus ankämpfen. Frau von Meyer war vor kurzem in einem Berliner Bus mit der »Friedenskarawane« durch Jugoslawien gefahren — die Aktion hatte die »Helsinki Citizen's Assembly« organisiert — und hatte von dort auch einen von Frauengruppen aus allen Teilen Jugoslawiensunterzeichneten »Appell an alle Frauen in der Welt« mitgebracht. Auszug: »Wir bestehen auf Menschen- und Minderheiten- Rechten, Demokratisierung und friedlichen Runde-Tisch-Verhandlungen zur Lösung der Probleme. Wir verurteilen diesen Krieg als ein Verbrechen gegen die Menschheit. Wir rufen alle Frauen in Jugoslawien, in anderen Teilen Europas und in der ganzen Welt auf, die Kriegstreiber zu entwaffnen und auch die weibliche Kollaboration mit Kriegstreibern zu beenden.« Ute Scheub

Die »Frauen für den Frieden« und »Scheherazade« rufen zu Spenden für Faxgeräte auf: Martin Niemöller Haus, Postgiroamt Berlin, Kontonummer 67 132-105, Kennwort Frauenfriedensfax. Die bisher eingegangene Summe ist bereits nach Jugoslawien unterwegs.