SED-Opfer protestieren vor dem Roten Rathaus

■ Hilfsverbände für die »Opfer des Stalinismus« wollen ihre Forschungs- und Gedenkstättenarbeit in der ehemaligen Stasi-Zentrale weiterführen/ Ihre Zukunft ist jedoch ungewiß: Finanzamt des Bezirks Mitte will im Haus 1 expandieren

Mitte. Mit einer Mahnwache protestierte gestern vor dem Roten Rathaus die »Allianz der Opfervereine kommunistischen Terrors« gegen die Pläne des Senats, aus der ehemaligen Stasi-Zentrale in der Normannenstraße ein Finanzamt zu machen. Am Nachmittag versammelten sich einige Dutzend Menschen zu einer Demonstration, kaum beachtet von den vorbeieilenden Passanten. Als ob die Menschenrechtsverletzungen während des SED-Regime nur ein Verstoß gegen die Straßenverkehrsordnung gewesen wären und die Verbände, die sich um die Opfer kümmern und aus der Sicht der Betroffenen die Geschichte aufarbeiten, nur Fossilien sind. Mit einem Beschluß vom 16. Mai 1990 garantierte der Ministerrat der DDR den Opfern des Stalinismus eine Forschungs- und Gedenkstättenarbeit im Haus 1 des Stasi-Hauptquartiers. Unmittelbar nach diesem Beschluß zogen in die erste und zweite Etage des ehemaligen »Haus des Schreckens« die Astak, die »Antistalinistische Aktion«, mit einem Museum, ein Jahr später in die dritte Etage mehrere Opferverbände ein, darunter das »Dokumentationszentrum zur Aufklärung der SED-Verbrechen«, der »Bund stalinistisch Verfolgter« und die Organisation »Help«. Bevor diese Verbände ihre Arbeit überhaupt effektiv aufnehmen konnten, übergab die Treuhand, vorläufig für drei Jahre, den gesamten und riesigen Stasi-Komplex an den Berliner Senat. Dieser wiederum braucht dringend Räume für das Finanzamt Mitte und zog auch gleich in vier Stockwerke des Haus Nr. 1 ein. Jetzt beansprucht die Finanzverwaltung auch das dritte Stockwerk, genau die Räume, die die Opferverbände für ihre Arbeit brauchen und auf die sie, wegen des Symbolgehaltes, auch unbedingt bestehen. Eine parlamentarische Anfrage des CDU-Abgeordneten Uwe Lehmann-Brauns, ob der Senat sich über die politische Brisanz dieser Entscheidung im klaren sei, versackte Mitte Oktober im Tagungsordnungswust, ebenfalls die gleichlautende Anfrage von Bündnis 90/ Grüne im Abgeordnetenhaus.

Ein interfraktioneller Dringlichkeitsantrag, daß die Opferbände in diesem Haus bleiben sollen, das heißt, daß das Finanzamt seine Expansionsideen auf andere Häuser des Komplexes ausdehnen soll, wird demnächst dem Senat vorgelegt werden. Die Opferverbände, die im Falle einer Vertreibung Widerstand bis zum Hungerstreik angemeldet haben, wissen, daß ihnen die Zeit wegläuft. Sie haben zwar 20 ABM- Stellen zugesagt bekommen, aber ein ausgefeiltes Nutzungskonzept liegt dem Senat nicht vor. Der Vorsitzende der Allianz, Harald Strunz, kündigte es für die nächste Woche an. Mit den Kompromißvorschlägen, z.B. die Forschungsarbeit im ehemaligen Stasi-Knast in Hohenschönhausen aufzunehmen, kann er sich nicht abfinden. aku