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■ Ansehnlich * Der 250. Schimanski-Tatort: Kinderlieb, Sonntag, ARD, 20.15 Uhr
Da ging der unerschrockene Ruhrpott-Kriminale namens Horst Schimanski einmal in seinem Leben zum Eislaufen in die freie Natur, und prompt brach er nicht nur ein — das ist manch anderem auch schon passiert —, nein, wie es der Zufall wollte, fischte er auch gleich eine Leiche aus dem eiskalten Wasser. Freilich, daß die besondere Logik der Fernsehkriminalistik mit einer drögen Wahrscheinlichkeitsrechnung meist wenig gemein hat, ist nicht neu.
Aber hier roch das Ganze doch allzu stark nach schnödem Anschauungsmaterial für den unbedingten schauspielerischen Einsatzwillen eines ewig jungen Götz George. Schließlich hätte es in diesem Fall auch ein x-beliebiger Pirouetten- Dreher als Finder getan, um den Krimi dann per Telefon in Gang zu bringen. Doch sei's drum, im großen und ganzen gehörte dieser Tatort zweifellos zu den lichteren Momenten der öffentlich-rechtlichen Verbrechensbekämpfung.
Da wurden zwar inszenatorisch nicht sonderlich geschickt die gesicherten Gemeinplätze über sexuellen Kindesmißbrauch eingebaut (Thanner: „Mütter schauen weg, weil nicht sein kann, was nicht sein darf“), aber gemessen an der effekthascherischen Unverfrorenheit, mit der sich andere Produktionen vielfach dieses Themas bedienen, pflegte der Film einen wohltuend dezenten Umgang mit der sensiblen Materie.
Obwohl dank Schimmis untrüglichem Underdog-Instinkt gegen solvente Krawattenträger auch bald klar war, wer da nur als Unhold in Frage kommen konnte (Thanner schied ja wohl aus; der zweite stand mehr auf kleine Jungen), verstand es die Regisseurin Ilse Hofmann doch immer wieder, dem Fall ein paar interessante Facetten abzugewinnen.
Vor allem aber hatte sie die Schimanski-Figur von einem in der Vergangenheit ständig am Rande der Karikatur agierenden Klischee auf ein „menschliches“ Maß zurückgenommen. Freilich kam der Rächer der Enterbten auch hier nicht ohne cholerische Ausbrüche, Currywurst und seine Jacke aus, aber zumindest brauchte er nicht ständig im verschwitzten Malocher-Unterhemd tollkühne Action-Einlagen zu geben oder stupide Verfolgungsjagden zu „fetzig“ gemeintem Retorten-Rock abzuliefern.
Zudem durfte der unermüdliche Racker die bei einem Schimanski- Tatort scheinbar unvermeidlichen „Laubsägearbeiten“ aus dem Schatzkästlein der Gesellschafts- und Existenzkritik diesmal anderen überlassen. „Markus ist echt 'n klasse Junge, vielleicht 'n bißchen zu sensibel, aber kann man das überhaupt sein?“ räsonierte der aufgeschlossene Erzieher, und die bohrende Frage, „was an dieser Welt eigentlich noch lebenswert“ sei, blieb einem pflichtbewußten Stationsarzt vorbehalten, der dann zum Glück auf dem Absatz kehrtmachte und fortan nicht mehr gesehen ward. Reinhard Lücke
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