INTERVIEW
: „Bei uns in Kuba herrscht gegenwärtig Pluralismus“

■ Dario L. Machado (45) ZK-Mitglied der KP Kubas, war am Wochenende Gast auf der Berliner Veranstaltung „Lateinamerika im Umbruch“

taz: Herr Machado, Sie führen in Ihrer politischen Arbeit als Direktor des „Zentrums für sozialpolitische Studien und Meinungsforschung“ auch Umfragen durch. Wie ist denn nun die Stimmungslage in der Bevölkerung?

Dario L. Machado: Die Umfragen, die wir durchgeführt haben, zeigen ein großes Verständnis der Bevölkerung für die Probleme und eine Bereitschaft, sich diesen zu stellen.

Aber wer nach Kuba fährt und mit Jugendlichen spricht, stellt eine große Unzufriedenheit fest, besonders angesichts der Vergleichsmöglichkeiten mit ausländischen Touristen. Haben Sie keine Angst, daß sich gerade unter der Jugend eine Oppositionsbewegung formiert?

Da muß man zunächst unterscheiden. Nach Kuba kommen Touristen aus verschiedenen Ländern, sowohl aus entwickelten wie unterentwickelten Ländern. Gerade im Gespräch mit Lateinamerikanern stellen die Menschen fest, daß außerhalb Kubas nicht nur Wohlstand herrscht. Zu unserer Jugend: Sie ist in dieselben Aktivitäten miteinbezogen wie der Rest der Bevölkerung. In Kuba habe ich als Soziologe keine Generationsgegensätze beobachten können, die über die übliche und allgemein bekannte Differenzierung zwischen der Jugend und der älteren Bevölkerung hinausgehen.

Also gibt es keine Opposition außerhalb der Kommunistischen Partei?

Wir haben Opposition. In der Kommunistischen Partei. Und in der Gesellschaft, gegenüber den Abweichungen, den Dingen, die falsch gemacht wurden.

Wenn es denn Opposition innerhalb der Partei gibt, warum wurde dann nicht der 4. Parteitag in voller Öffentlichkeit abgehalten?

In Ihrer Frage liegt sehr viel Desinformation. Wenn irgend etwas öffentlich gewesen ist, dann der 4. Parteitag. Wir haben davor einen Aufruf gemacht, der in aller Öffentlichkeit diskutiert wurde. Die Durchführung des Parteitages erfolgte unter den Bedingungen des „Periodo Especial en Tiempos de Paz“ (Spezialperiode in Friedenszeiten). Diese besonderen Umstände bedingten einen sehr sparsamen Parteitag. Wir entschieden, daß er ohne ausländische Gäste stattfinden sollte und daß die Information darüber nur über unsere Medien weitergegeben wurden. Sie irren sich, wenn Sie meinen, wir hätten nur Ausschnitte gezeigt. Während der ganzen letzten Woche sind jeden Abend drei Stunden über den Parteitag ausgestrahlt worden...

Aber diese Programme wurden nicht direkt übertragen...

...nein, nicht direkt...

...aber in der UdSSR war das in den letzten Jahren zum Großteil üblich.

Wir zwingen ja auch niemanden, sich nach uns zu richten. Täglich wurden Informationen gegeben. Natürlich — nicht alles wurde gesagt. Bei einigen Dingen zieht man es vor, daß sie nicht an diejenigen gelangen, die die kubanische Revolution bekämpfen wollen.

Vor dem Parteitag wurden zehn Mitglieder verschiedener Oppositionsgruppen verhaftet. Was passiert mit ihnen?

Ich habe keine detaillierten Informationen darüber. Aber generell zu diesem Thema: Es gibt auf Kuba kleine konterrevolutionäre Gruppen, die allerdings keine soziale Basis haben. Diesen Gruppen wird vom Ausland immer sehr viel Aufmerksamkeit geschenkt.

Sie meinen also, daß die Oppositionsgruppen auf Kuba alle von den USA unterstützt werden? Oder machen Sie auch Unterschiede zu jenen Gruppen, die eine Demokratisierung des kubanischen Sozialismus wollen?

Wir haben eine große Organisation, die daran interessiert ist, den Sozialismus auf Kuba zu demokratisieren: die Kommunistische Partei. Ich sagen Ihnen sogar: Bei uns in Kuba herrscht gegenwärtig Pluralismus. Aber: Eine Alternative zur Kommunistischen Partei, die die Partei der kubanischen Nation ist, könnte in dieser Zeit des kalten Krieges nur eine ganz typische Organisation für die USA und keine Alternative zum revolutionären kubanischen Projekt sein.

Andersherum gefragt: Wenn die Zeit der Spezialperiode zu Ende ist, gäbe es dann eine Möglichkeit für eine legale Opposition?

Wenn der Imperialismus aufhört, könnten andere Formen der demokratischen Teilnahme entstehen. Wie sie sein werden, kann ich nicht voraussagen, ich habe keine Kristallkugel. Aber hier in Europa scheint das Dogma sehr in Mode zu sein — und ich habe das in den Diskussionen mit einigen Vertretern der sogenannten Linken feststellen können —, daß es keine Demokratie geben kann, wenn es nicht mehr als eine Partei gibt.

Sie Sprechen von Pluralismus. Aber die Kommunistische Partei erlaubt doch keinen Pluralismus?

Wir haben auf Kuba eine Verfassung, die festlegt, daß die KP die führende Kraft der Gesellschaft ist. Wir haben keine soziale Basis, die andere politische Parteien verlangt.

Angenommen, in Kuba kommt es zu Massenprotesten. Wie wird dann die Partei reagieren? Demnächst soll es ja auch zu einer Zusammenkunft zwischen der Chinesischen und der Kubanischen Kommunistischen Partei kommen. Heißt das, man ginge den Weg der chinesischen Lösung?

Die KP Kubas wird gegenüber den eigenen Problemen nicht die Lösungen anderer Parteien anwenden. Sie unterstellen uns ein Pseudoproblem, demnach wir es wie die Chinesen machen müßten. In demselben Maße wie die Blockade verstärkt wurde, ist das kubanischen Volk enger zusammengerückt.

Auf Kuba wird der Ochse wieder in der Landwirtschaft eingesetzt, werden Fahrräder aus China eingekauft, um Benzin zu sparen. Sind solche Maßnahmen nicht eher dazu angetan, den Zusammenbruch zu verzögern?

Diese Maßnahmen entsprechen einer konjunkturellen Notwendigkeit, die wir „Spezialperiode in Friedenszeiten“ nennen. Es ist eine Angleichung an die großen Veränderungen, die sich aus dem Debakel der sozialistischen Gemeinschaft und insbesondere unseres Haupthandelspartners, der UdSSR, ergeben.

Kuba allein wird sich also halten?

Nein, kein Land, auch nicht Kuba, kann autark sein. Deshalb reorientieren wir ja unseren Außenhandel.

Welche Länder kämen denn in Frage?

Wir sind offen für den Handel mit jedem Land. Hauptschwerpunkt wird Lateinamerika sein, unser natürlicher Handelspartner.

Aber zeigt die Krise nicht, daß Kuba nie wirklich unabhängig war? Daß die Abhängigkeit von den USA gegen die der UdSSR eingetauscht wurde?

Ihre Darstellung unterstellt, Kuba wäre nie unabhängig gewesen. Das ist eine falsche Sichtweise. Was wir allerdings nicht geschafft haben, ist von einem bestimmten Markt unabhängig zu werden. Als die Revolution siegte, waren wir vom nordamerikanischen Markt abhängig, und danach machten wir uns vom Markt der sozialistischen Gemeinschaft abhängig, speziell von der Sowjetunion.

Aber wer ökonomisch abhängig ist, kann doch nicht politisch unabhängig sein.

Jedes Land der Welt ist von einem System von Beziehungen abhängig. Wer sagt Ihnen denn, daß wir nicht unabhängig sind? Wer hat uns je eine politische Entscheidung aufzwingen können? Oder gehören Sie zu denjenigen, die glauben, wir würden dem Diktat Moskaus folgen? Vorher sagten sie, wir würden den Befehlen Moskaus folgen, und jetzt sagt man uns: Kopiert die Perestroika.

Können Sie kurz zusammenfassen, was Kubas Zukunft ausmachen wird?

Es wird vor allem keine Deideologisierung geben, keine Aushöhlung des patriotischen Empfindens für den revolutionären Prozeß. In Kuba wird es keine zweideutige Position geben, die Kompromisse und Abhängigkeiten mit den USA sucht, sondern eine antiimperialistische Position. Schließlich: Es wird kein Mehrparteiensystem und keine kapitalistische Marktwirtschaft geben. Statt dessen Sozialismus und eine Partei, demokratisiert und eng mit den Massen verbunden. Aber nur eine Partei, die Partei der kubanischen Nation. Interview: Severin Weiland