Die Fotografinnen

■ Warum zwei Frauen das Elend fotografierten

Singe Kremer und Birgit Stiem sind Mitarbeiterinnen im Kontaktladen des AK Drogen (Verein für akzeptierende Drogenarbeit) in der Weberstraße. Beide wissen: Wenn es kalt wird, dann müssen sie die Tür verrammeln. Vor all den Junkies, die nachts und tagsüber kein Dach über dem Kopf haben und kommen, um sich zumindest aufzuwärmen. Birgit Stiem: „Diesem Ansturm sind wir in dem kleinen Raum nicht gewachsen.“

Längst haben sie die Hoffnung aufgegeben, im Laden richtig helfen zu können: „Für die, die kommen, kann ich nichts mehr tun. Natürlich machen wir Spritzentausch. Natürlich versorgen wir die Wunden. Aber was für ein Wahnsinn, tausend Pflaster zu kleben auf einen Körper, der am Verhingern und am Erfrieren ist!“

Birgit Stiem und Singe Kremer, die ausgebildete Fotografin ist, sind zusammen losgegangen, haben die Bremer Wirklichkeit fotografiert. Die meisten Obdachlosen kennen sie. Einen Vormittag lang haben die AK- Mitarbeiterinnen am Sielwall Kaffee ausgeschenkt. Und Formulare verteilt, um die Obdachlosen mitsamt ihren Ansprüchen auf Sozial- oder Arbeutslosenhilfe zu erfassen. Schon nach 1 Stunde gab es 47 Namen. Stiem schätzt, daß von den 1.500 Obdachlosen 30-40 Menschen überhaupt keine Bleibe haben, keine Matratze bei Freunden, nichts.

Wozu macht man in dieser Lage Fotos? Zum Wachrütteln. Singe Kremer will, daß sich die Menschen — besonders die politisch Verantwortlichen — nicht hilflos oder in Ekel abwenden, sondern hingucken. Und begreifen, daß es für manche Menschen zum normalen Alltag gehört, täglich zu überlegen: Wo kann ich heute schlafen? Die beiden Drogenarbeiterinnen haben versucht, das Elend zu dokumentieren, ohne die betroffenen Menschen voyeristisch bloßzustellen.

Birgit Stiem: „Wenn ich schon nichts tun kann, soll es wenigstens jeder wissen.“

S.P.