Obdachlos.

■ Über eine Foto-Reportage der AK-Drogen-Mitarbeiterinnen Stiem und Kremer

Zum Beispiel das Haus im Ostertor, das seit einigen Wochen ohne Wasser und Strom ist. Einige Obdachlose wohnen seit Wochen „fest“ in dem Haus, hat Birgit Stiem bei ihren Foto-Recherchen herausgefunden. Dazu kommen allnächtlich einige Junkies, die anklopfen und über Nacht bleiben dürfen. Die zwei Klos und das Duschbecken quellen über von Scheiße. Der Gestank im ganzen Haus ist höllisch. Immer noch besser, als bei Temperaturen um den Grfrierpunkt im Freien unter Balkons zu nächtigen! Wo früher die Küche war, fault der Abfall. Müllabfuhr gibt es nicht. Es ist stockdunkel und feucht.

Dem Wort „Obdachlosigkeit“ geht es wie der „Arbeitslosigkeit“. Die Wirklichkeit, die stinkt und friert und bettelt und zum Himmel schreit, kommt in den Zahlen, Statistiken und den Zeitungstexten nicht vor. Wir dokumentieren deshalb auf diesen zwei Seiten einige der Fotos, die die AK-Drogen-Mitarbeiterinnen Birgit Stiem und Singe Kremer in den letzten Wochen gemacht haben. Vermutlich waren die meisten schneller überholt, als die Fotos entwickelt waren. Denn die Schlafplätze ändern sich von Tag zu Tag. Aber die Lage bleibt. Zum Beispiel hinter den schicken Neubauten am Ostertorsteinweg: Unter den Balkons, immerhin regen- und ein bißchen windgeschützt, schleppen immer wieder einige Jammergestalten ein paar Pappen, manchmal eine Matratze an. Andere kommen hinzu. Fünf haben Platz. Tage später räumt die Polizei die kläglichen Reste der Nacht weg. Bis zum nächsten Mal. PassantInnen merken nicht, wo sie vorbeigehen.

Das Frauen-Projekt des Vereins AK Drogen für Prostituierte, gedacht als Anlaufstelle und zum Aufwärmen bei einer Tasse Kaffee, wird wie jeden Winter zur Zuflucht gegen die Kälte. Bald geht da nichts mehr, schon gar keine Sozialarbeit. Die Frauen gehen nicht mehr hinaus auf die Straße. Und wer soll sie zwingen? In manchen Nächten reichen die Frauen von der „Bremer Hilfe“ vom Bus aus den Kaffee nach draußen. Zu viele wollen hinein, zu klein ist der warme Raum. Das St.-Jürgen-Krankenhaus kann „entlassungsfähige“ Junkies nicht gehen lassen, weil sie obdachlos sind. Krankenhausbetten werden so zu Notunterkünften. Das Jacobushaus weist allabendlich 2-3 Leute ab, die nicht mehr untergebracht werden können.

„Läuse“ melden die bis zu 13 Junkies, die sich einen Raum im Ostertor teilen. Sie nächtigen auf Ikea-Drahtstühlen, auf Pappen. Ein Hohn: Sie haben fließendes Wasser — aber kein Waschbecken. Der Hahn tropft, der Boden ist naß, Schimmel und Gestank. In Plastiktüten verstauen die Junkies ihre Kleidung, bekommen neue gebrauchte, wenn sie in der Weberstraße duschen. An Kleidung ist in der BRD kein Mangel.

Die Ärmsten schlafen ohne Plane, ohne Zelt, draußen. Zum Beispiel im Pappelwäldchen Rembertiring. Stiem und Kremer fanden einen Junkie im Schlafsack, klitschnaß vom Tau. Der bleibt naß bis zur nächsten Nacht. Zum Glück gibt es den Waschsalon, wo man manchmal bis 23 Uhr in der Wärme sitzen kann. Andere haben die Parkhäuser entdeckt und schlafen auf den Postern abgestellter Autos. Oder auf dem Boden in der Nähe der Heizungsrohre.

Nicht nur Müll, Deck und Verwahrlosung fanden die beiden Fotografinnen. Sie entdeckten auch Betten, die ordentlich „gemacht“ waren, mit einer Folie vor Nässe geschützt. An der Wand stand gesprüht: „für dich“.

Als meilenweit von dieser Wirklichkeit entfernt empfinden die Betroffenen, aber auch die DrogenarbeiterInnen die Sprüche der PolitikerInnen: daß Bunker oder Container doch menschenunwürdig seien. „Ich hatte zum ersten Mal seit Jahren ein Kopfkissen! „ erzählte eine junge Frau im letzten Winter nach ihrer ersten Nacht im Bunker Delmestraße.

Die Sprecherin der Sozialbehörde sagt: „Wir wissen auch, daß auf Frühjahr und Sommer Herbst und Winter folgen.“ Es gebe seit 14 Tagen Verhandlungen mit der Inneren Mission über die Trägerschaft für eine „Schlichtschlafstätte“, eine „Penne“. Für Obdachlose. 50-60 Menschen sollen da unterkommen können, nur nachts. Wenn die Trägerschaft klar ist, muß die Sache mit dem zuständigen Ortsamt geklärt werden. Man ahnt, wie dessen Stellungnahme aussehen könnte.

Zusätzlich geht die Behörde von einem Bedarf von 80 Schlafplätzen für Junkies an, möglichst verteilt, in „Pensions“zimmern. Perspektive: „So schnell wie möglich“. Susanne Paas