Des widerspenstigen Zähmung

Rasieren gehört nicht mehr zur Arbeitstechnik der Friseure/ Aufwand und Ertrag stehen in keinem Verhältnis zueinander/ In Berlin kann Mann sich bei türkischen, griechischen, arabischen und spanischen Friseuren für zehn Mark rasieren lassen  ■ Von Peter Huth

Männer mit Dreitagebart, das wirkt attraktiv. Aber beim Küssen? Frauen und schwule Männer können ein Lied davon singen. Doch während die Männer wenigstens die Chance haben zurückzukratzen, bleibt den Frauen je nach Beschaffenheit ihrer Haut nur die Alternative zwischen gerötetem oder zerschundenem Kinn.

Spätestens, wenn der oder die Liebste als Geburtstagsgeschenk Rasierpinsel mit Dachshaar, Rasiermesser und Marmor-Schaumschüssel präsentiert, zieht auch kein Argument mehr, schon gar nicht: „Ich rasiere mich so selten mit dem Elektrorasierer, weil ich gegen AKWs bin.“ Dann hilft nur noch die Flucht nach vorn, beziehungsweise der Rückgriff auf die Tradition: „Nie werde ich mir selbst die Wangen zerschneiden, eher liefere ich mich ans Messer!“

Leichter gesagt als getan. Die Suche nach dem rechten Barbier kann durchaus zur Odyssee werden. Natürlich gibt es viele Friseure, die einem um den Bart gehen, aber einen widerspenstigen, kratzigen, in alle Himmelsrichtungen sprießenden Fünftagebart pfleglich rasieren — das können sie deshalb noch lange nicht. Seit Anfang der 80er Jahre gehört Rasieren einfach nicht mehr zur grundlegenden Arbeitstechnik, die den Berufsanfängern beigebracht wird.

Die Krise des Barbierens reicht allerdings viel weiter zurück. Dazu beigetragen hat die durch Giftgaseinsätze erzwungene Selbstrasur der Soldaten im Ersten Weltkrieg, die stark grassierende Bartflechte nach diesem Krieg, die Einführung des Rasierapparates und die tägliche Rasur sowie das permanent militärisch gepflegte Gesicht als Modeerscheinung, die bis heute andauert. Oft scheitert der Wunsch nach einer Rasur schon am Rasierpinsel. Denn dieser gehört nur noch zum Werkzeug des Friseurs, soweit er Eigentum des Kunden ist. Die Verordnung über die Hygiene bei der Ausübung des Friseurhandwerkes verbietet den allgemeinen Gebrauch des Rasierpinsels im Salon.

Aber bitteschön, was ist eine Naßrasur ohne das zeremonielle Einseifen mit einem Pinsel, was ist diese Rasur ohne das grundlegende Ritual, das überhaupt erst das Gelingen garantiert? Diese jungen Friseure kommen mit ozonlochproduzierenden Spraydosen, verkleistern das Gesicht und schrabben mit ihren Handflächen über die Wangen, Kinn und Hals.

Das Ansinnen, vor dem Einseifen heiße Kompressen aufgelegt zu bekommen, wird mit einem Blick beantwortet, der einem verrät, daß Mann nicht mehr von dieser Welt sei. Andere operieren direkt mit der elektrischen Haarschneidemaschine, um das Gröbste zu beseitigen, und wollen ihre Schandtat danach mit dem Elektrorasierer vollenden. Da bleibt nur die Flucht.

Wenn sich so ein Friseur bei seiner Ehre gepackt fühlt, ist er allerdings zu allem bereit — auch zu einer Rasur. Doch Vorsicht! Selbst wenn warme Kompressen vom Kinn aus richtig aufgelegt, sacht mit beiden Händen angedrückt werden, selbst wenn in Ermangelung des Pinsels der Friseur mit geschlossenen Fingerspitzen in kleinen Kreisbewegungen den Schaum bestens verteilt, die Barthaare vom Schaum umschlossen sind, daß sie dem Druck des Messers nicht mehr ausweichen können — Männer, seid auf der Hut. Den heutigen Friseuren fehlt es an Übung.

Es nützt nichts, wenn sie forsch zum Adam greifen, um die Klinge schwungvoll zu wetzen. Auch die Nagelprobe, das Klingenlassen des Stahls oder das fachmännische Gerede, ob es sich nun um ein volles oder hohlgeschliffenes Messer handle, verrät nichts über das Können. Laßt Euch den Blick nicht trüben. Achtet auf die messerführende Hand.

Die Führung des Rasiermessers darf nicht aus dem Unterarm, sie muß aus dem lockeren Handgelenk heraus erfolgen und ergibt dadurch kreisende Schnittlinien. Wenn dem nicht so ist, dann gute Nacht. Dieser Metzger wird die obersten Hautschichten abschaben, gegen den Strich rasieren, die Haare werden ausspringen, und man wird bluten wie ein Schwein. Da nützt es auch nichts, wenn man die Haut mit Eisenchlorid traktiert. Deshalb wird ein verantwortungsbewußter Friseur zugeben, daß er nicht mehr rasiert. Außerdem stehen Aufwand und Einnahmen in keinem Verhältnis zueinander, so daß ein wirtschaftlich kalkulierender Betrieb sich das Rasieren von vornherein nicht mehr leisten wird.

Also muß Mann doch selbst zum Messer greifen? Mitnichten. Zumindest im multikulturellen Berlin gibt es türkische, griechische, arabische und spanische Alternativen, bei denen es ein Genuß ist, sich für zehn Mark rasieren zu lassen, zu plaudern und einen Kaffee zu trinken. Und dann das Aftershave: hier getupft, da getupft, dort nochmal kurz nachrasiert, duftendes Gesichtswasser, kurze Stirnmassage, Eincremen und Nachpudern. Mann fühlt sich frisch — wie aus dem Ei gepellt.