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: Pullach aus dem Ruder gelaufen?

■ Nach dem Panzer-Skandal ist eine effektive Geheimdienst-Kontrolle überfällig

Daß die Kapuzenmänner vom Bundesnachrichtendienst ihren Kollegen vom Mossad mit vormals volkseigenem Militärkram zur Hand gehen wollten, möglicherweise schon mehrfach gingen, mag durchaus als Routineübung zwischen westlichen Geheimdiensten angehen. Schließlich durften die Späher in Pullach im Gegenzug mit First-class-Informationen aus Israels arabischen Nachbarländern rechnen. Hochgradig skandalös ist jedenfalls, daß nicht nur der Geheimdienstkoordinator im Bundeskanzleramt, Staatsminister Stavenhagen, sondern gar der Chef des Geheimdienstes selbst, der sozialdemokratische Ex-Abgeordnete Porzner, über den heiklen Deal nicht im Bilde waren.

Ganz offensichtlich existieren innerhalb des bundesdeutschen Auslands-Geheimdienstes Seilschaften, die der politischen Führung aus dem Ruder laufen. Ein Indiz dafür hat eben erst der Untersuchungsausschuß des Bundestages offenbart, der die Geschäfte und Westkontakte des früheren SED- Goldfingers Alexander Schalck-Golodkowski erhellen soll. Im März letzten Jahres hatte Kanzleramtschef Stavenhagen dem SPD-Parlamentarier Conradi die falsche Auskunft gegeben, Schalck habe keine falschen Papiere aus Pullach bekommen. Das Gegenteil war der Fall. Möglicherweise — der Schalck-Ausschuß bemüht sich derzeit um Aufklärung — war Stavenhagen von seinen Dunkelmännern unzureichend oder falsch informiert worden. Er selbst führt das zu seiner Entlastung an — und disqualifiziert sich gerade so als des Kanzlers Geheimdienst-Aufseher. Daß BND-Chef Porzner in Pullach am falschen Schreibtisch sitzt, hat er kürzlich mit seinem hilflosen Auftritt im Schalck-Ausschuß dokumentiert: Freimütig räumte er ein, bis zur Berufung auf seinen jetzigen Posten vom BND nicht viel mehr gewußt zu haben, als daß jener eben existiere.

Daß die Panzer-Sendung nach Israel gerade am Vorabend der Nahost-Konferenz im Hamburger Hafen auflief, ist für Bonn zwar besonders peinlich, zeitlich aber reiner Zufall. Seit Jahren pflegt Pullach eine intensive Mossad-Connection. Erinnert sei nur an die Affäre um die Beschaffung der Cerberus-Elektronik für die Bundesluftwaffe, die im letzten Jahr für Schlagzeilen sorgte. Warum die Beschaffung dieser US-amerikanischen Kriegstechnologie ausgerechnet auf dem Umweg via Israel erfolgte und warum die verdeckte Finanzierung der BND abwickelte, ist bis heute nicht schlüssig geklärt. Womöglich diente der Kauf der völlig überteuerten und technisch unzulänglichen Cerberus-Technik zur Verschleierung ganz anderer Operationen.

Selbst konservative Sicherheitsexperten drängen nach den Veränderungen in Osteuropa auf eine grundlegende Neubestimmung der Aufgaben für die bundesdeutschen Geheimdienste. Die jüngsten Affären des Bundesnachrichtendienstes rücken daneben vor allem eine Aufgabe in den Vordergrund: die längst überfällige Installierung einer echten parlamentarischen Kontrolle über die Schlapphut- Zunft. Die existiert bisher nicht einmal auf dem Papier. In der zuständigen Parlamentarischen Kontroll-Kommission (PKK) sehen selbst die meisten ihrer Mitglieder einen unfähigen Feigenblatt- Club. Die politische Großwetterlage war noch nie so günstig für einen Großputz in der Black Box von Pullach. Thomas Scheuer