„Wir wollen überleben!“

Möllemanns Goodwill-Tour ins Bergbaurevier Bergkamen/ Besuch bei den kämpfenden Männern und Frauen  ■ Von Bettina Markmeyer

Bergkamen (taz) Nächsten Mittwoch mit einer kleinen Gruppe zur Zeche „Monopol“ zu fahren und die Arbeit unter Tage zu sehen, hat ihr der Ehemann verboten. „Du sollst dich nicht der Gefahr aussetzen, meinte er“, erzählt Petra Rogoszynski. „Und du“, habe sie zurückgefragt, „du setzt dich doch jeden Tag der Gefahr aus, oder?“ Trotzdem, „ohne Ehekrach“ war nichts zu machen. Petra Rogoszynski bleibt oben. Dabei kämpft sie seit Mai mit Bergkamener, Kamener und Lünener Bergmannsfrauen um „fm 6“, um Arbeitsplätze, die sie selbst noch nie gesehen hat. Sie kämpfen für den Erhalt von 9.800 Stellen im Bergbau auf den Zechen Monopol und Haus Aden in Bergkamen.

Nie vorher hat die 29jährige Petra Rogoszynski sich so eingesetzt. Sollte die Kohleförderung im Jahr 2005 tatsächlich nur noch bei 45 Jahrestonnen liegen, müßte die Zeche Monopol so schnell wie möglich dichtgemacht werden. Bisher rechneten die Bergleute mit einem Betrieb bis 2000. Gestern mittag kam der Wirtschaftsminister ins Bergkamener Rathaus und folgte damit der Einladung des Bürgerkomitees. Lange vorher waren die Frauen da, verteilten Liederzettel, überlegten sich ihre Fragen und hängten Fotos von ihren Familien auf: „Wir wollen ihm klarmachen, daß hinter jeder Zahl ein Schicksal steht.“

Möllemann kommt, klettert über Tische durchs Gedränge. Bergleute direkt von Monopol, viele noch schwarz im Gesicht, drängen nach; die Frauen singen das neue Bergkamener Zechenlied „Wir wollen überleben“. Den Text hat Petra Rogoszynski geschrieben: „Das kam so aus dem Stehgreif.“ Schluchzend vor Aufregung liest die 11jährige Melike Möllemann ihren Brief vor: „Sie denken gar nicht an uns, Sie denken nur an sich!“ Möllemann begrüßt die „lieben Kinder“, schenkt Malike ein Buch, weil sie bei seinem Besuch auf der Zeche Haus Aden schon einmal versucht hatte, an ihn heranzukommen. Er legt dann sein Redemanuskript zur Seite und ist nach einem knappen Statement bereit für Fragen.

„Selbst wenn sie umschulen: Sollen sich denn 20 Bergleute demnächst einen Arbeitsplatz als Erzieher oder Uhrmacher teilen?“, fragt Heike Querfurth, eine der Gründerinner der Fraueninitiative. Wenn Monopol dichtmachte, wären im ländlich gelegenen Bergkamen auf einmal 4.000 Männer arbeitslos. Möllemann redet von verstärktem „Pendeln“, gibt aber auch zu, daß sich Zechenschließungen im Steinkohlerevier „mehr auswirken“.

Während die meisten Frauen mit ihren Fragen zur nahen Zukunft sitzenbleiben, reden Bürgermeister und Betriebsratsvorsitzende, Kumpel und Frührentner mit dem Minister von der Importkohle bis zu Tschernobyl. Eine Lehrerin fragt, welche Ausbildung sie ihren Schülern nächstes Jahr empfehlen soll, Gaby Dengel-Lorenz hebt die Stimmung mit der Bemerkung, daß ein Bundestagsabgeordneter doch viel teurer sei als ein Bergmann. Als Möllemann wieder geht, ist es im Ratssaal so heiß wie 1000 Meter unter Tage. Petra Rogoszynski ist nicht dazu gekommen, ihre Frage zu stellen: „Wie sollen wir die Zeit überstehen, bis Möllemanns Wirtschaftsförderung greift?“ Sie wird weitermachen in der Fraueninitiative, auch wenn Mann und Sohn mal mosern. „Ich sag' dann immer, ich kämpfe ja nicht für ein neues Schuhgeschäft in Bergkamen, ich kämpfe für unsere Existenz.“