Palästina: Zwei Völker in einem Land

■ Die Geschichte eines tödlichen Konflikts

Alle in Palästina entstandenen Revolutionen seien in arabischen Hauptstädten gescheitert — so das bittere Resumee des Palästinensers Abu Iyad über die vermeintlichen arabischen Brüder in seiner 1979 veröffentlichten Autobiographie. Abu Iyad wurde ermordet, als die letzte dieser Revolutionen, die Intifada in den von Israel besetzten Gebieten, gerade an ihrer Aussichtslosigkeit zu scheitern begann. Die Zeit arbeitet gegen die Palästinenser, es waren die anderen, die Fakten schufen, die Land beschlagnahmten, Siedlungen bauten und Vertreibungen planten.

Es waren auch von Anfang an, seit Ende des letzten Jahrhunderts schon, die anderen, die über das Land und über das Schicksal der arabischen Bevölkerung Palästinas verfügten, als gäbe es sie einfach nicht. Diplomaten, Feldherren und Politiker zogen immer neue Linien auf der Karte des Nahen Ostens, als sei die Region ein unbebautes Grundstück.

Ein britischer Politiker gab dies schon 1919 zu: „In Palästina haben wir nicht vorgeschlagen, die Wünsche der gegenwärtigen Einwohner auch nur anzuhören. Die vier großen Mächte sind dem Zionismus verpflichtet, und der Zionismus, sei er richtig oder falsch, gut oder böse, wurzelt in althergebrachter Tradition, in gegenwärtigen Erfordernissen und Hoffnungen für die Zukunft, die von sehr viel größerer Bedeutung sind als die Wünsche und Vorurteile der 700.000 Araber, die gegenwärtig auf diesem Land leben.“

Der Name dieses Politikers war Lord Balfour. Zwei Jahre zuvor hatte er in einem Brief dem französischen Finanzier Edmond de Rothschild, einem der wichtigsten Unterstützer des Zionismus, zugesichert, Palästina solle zur „nationalen Heimstätte des jüdischen Volkes“ werden, wobei allerdings „den bürgerlichen und religiösen Rechten der in Palästina bestehenden nichtjüdischen Gemeinschaften“ kein Abbruch getan werden dürfe. Mit anderen Worten: London unterstützte die Gründung eines jüdischen Staates, in dem den Palästinensern alle Rechte einer Minderheit eingeräumt werden sollten — mehr aber auch nicht. Die Balfour-Deklaration war eine deutliche Abkehr von dem nur ein Jahr zuvor unterzeichneten britisch-französischen Sykes-Picot-Abkommen, das eine Internationalisierung Palästinas vorsah.

Die jüdische Einwanderung in Palästina hatte Ende des 19. Jahrhunderts begonnen. Die zwanziger Jahre — Palästina stand unter britischem Mandat — sahen eine mehr oder weniger stetige Zunahme der jüdischen Besiedlung und ein immer komplexeres Netz von jüdischen Institutionen in Palästina. Die arabischen Bewohner widersetzten sich den Immigranten mit gewaltsamen Aktionen.

Mit der Machtübernahme des Nationalsozialismus in Deutschland 1933 kam ein großer Strom assimilierter deutscher und westeuropäischer Juden nach Palästina, 1935 wanderten dreißigmal so viele Juden ein wie 1928. 1937 wird von Großbritannien im sogenannten Peel- Plan zum erstenmal die Teilung Palästinas in einen jüdischen und einen arabischen Staat vorgeschlagen. Die jüdische Einwanderung soll beschränkt werden. 1942 verkündet die zionistische Weltorganisation mit der Biltmore-Resolution ihre Absicht, einen eigenen Staat auch gegen die britische Mandatsmacht durchzusetzen. Noch besaßen sie nur einen sehr kleinen Teil des Bodens: 1940 hatten die 31 Prozent jüdischer Einwohner Palästinas erst knapp sechs Prozent des Landes in ihren Besitz gebracht. Eine Kampagne „strategischen Landerwerbs“ durch jüdische Institutionen in Palästina begann.

Der Teilungsplan der Vereinten Nationen von 1947 zeigte, wie erfolgreich diese Kampagne war. Im Vergleich zum Peel-Plan war der jüdische Teilstaat erheblich größer. Doch die arabischen Staaten akzeptierten den UN-Plan nicht obwohl fast die Hälfte der Bevölkerung des jüdischen Teilstaats arabisch sein sollte, während es im arabischen Teilstaat fast keine Juden gegeben hätte.

Es kommt zu heftigen Kämpfen zwischen den jüdischen und den arabischen Bewohnern Palästinas. Die Zerstörung des arabischen Dorfes Deir Yassin bei Jerusalem und die Ermordung seiner 250 Bewohner löst die Flucht von Hunderttausenden Palästinensern aus. Am 14. Mai 1948 ruft David Ben Gurion den Staat Israel aus. Stunden später beginnt der konzertierte Angriff der arabischen Staaten.

Am Ende dieses Krieges sind die arabischen Staaten geschlagen, und von dem palästinensischen Teilstaat nichts mehr übrig: das Westjordanland wird vom jordanischen König annektiert, Ägypten kontrolliert fortan die Sinai-Halbinsel und den Gaza-Streifen. Dieser territoriale Status quo bleibt im wesentlichen bis zum Sechs-Tage-Krieg von 1967 unverändert.

Im Sechs-Tage-Krieg erteilt Israel den umliegenden arabischen Staaten, die sich zuvor gegenseitig mit verbaler Militanz gegen den jüdischen Staat zu übertreffen versucht hatten, eine harte Lektion. Die Sinai- Halbinsel, die Golan-Höhen und das Westjordanland werden von Israel besetzt, mehr als eine Million Palästinenser israelischer Militärherrschaft unterworfen. Im November 1967 fordert der UN-Sicherheitsrat Israel zum Rückzug und zu einer Regelung des Problems der palästinensischen Flüchtlinge auf. Die Resolution 242 ist ein bewußt vage formulierter Kompromiß der Großmächte, sie läßt offen, wie weit Israel sich zurückziehen soll und wie mit den Forderungen der Palästinenser nach nationaler Selbstbestimmung umgegangen werden soll.

In Israel wurde daraufhin debattiert, ob die besetzten Gebiete ein territorialer Faustpfand für eine Friedensregelung oder unverzichtbarer Teil von „Eretz Israel“, dem biblischen Israel, seien. Linke israelische Kräfte warnten vor den Folgen einer undemokratischen Zwangsherrschaft über eine so große und feindselige arabische Bevölkerung, die sich nur von der PLO vertreten fühlt.

Die PLO hatte lange einen säkularen demokratischen Staat in ganz Palästina gefordert und sich in den siebziger Jahren durchgerungen, einen palästinensischen Staat neben Israel als realistisches Lösungsmodell des Konflikts anzustreben. Beides wird von Israel abgelehnt. Auch Ägypten und Jordanien boten Israel einen Friedensvertrag an, wenn es sich auf die Grenzen vor dem Sechs-Tage- Krieg zurückzöge. Der ägyptische Präsident Sadat unterstrich diese Bereitschaft durch seine historische Reise nach Jerusalem im November 1977. Israels Regierung geriet unter heftigen Druck aus der eigenen Bevölkerung, Sadats Offerte anzunehmen — die „Peace Now“-Bewegung entstand, getragen von israelischen Offizieren, die Begin warnten: „Wenn es noch einen Krieg geben sollte, wollen wir wissen, daß Israel alles getan hat, um ihn zu verhindern.“

US-Präsident Carter schaltet sich ein, um ein Festfahren des Friedensprozesses zu verhindern. Am Ende muß er das gesamte politische Gewicht der USA in die Waagschale werfen, um Israel zur Unterzeichnung des Camp-David-Abkommens zu bewegen. Es sieht einen Separatfrieden mit Ägypten und eine Rückgabe des Sinai vor, in einer zweiten Phase soll eine Autonomie für die Palästinenser des Gaza-Streifens und der Westjordanlandes verwirklicht werden. Dazu kommt es nie, Begins Autonomiepläne sind so unzulänglich, daß sie von den Palästinensern abgelehnt werden.

Den Palästinensern gelingt es immer nur, durch beharrliche Diplomatie und militärische Kommando- Aktionen den israelisch-palästinensischen Konflikt im Bewußtsein der Weltöffentlichkeit zu halten. In der Region stecken sie einen Rückschlag nach dem anderen ein; wo sie zur Macht in einem Staate werden, folgt die Zerschlagung dieser Macht — so 1970 in Jordanien, 1982 im Libanon. Nun, nach dem politischen Desaster des Golfkriegs und dem Wegfall der Rückendeckung aus Moskau, sitzen sie in Madrid am diplomatischen Katzentisch. Stefan Schaaf