: Helden mit schwarzer Haut
Zum Filmstart von „Jungle Fever“: Kurze Geschichte des afroamerikanischen Kinos ■ Von Harald Keller
Der jüngste Boom des schwarzen Kinos in den USA zeigt erstaunliche Parallelen zu der Situation Ende der sechziger, Anfang der siebziger Jahre, als das afroamerikanische Kino eine kurzfristige Blüte erlebte. Filme wie Shaft oder Superfly wurden auch hierzulande zur Kenntnis genommen; zweit- und drittrangige „Blaxploitation-Movies“ wie Cleopatra Jones oder Hit, aber auch bessere Filme wie die Chester-Himes-Adaption Cotton Comes to Harlem oder Sounder, Part II tauchen gelegentlich in den Programmen der Kabelsender auf. Weniger bekannt ist die Tatsache, daß die Tradition afroamerikanischen Filmschaffens zurückreicht bis in die Stummfilmzeit.
Eine Reihe unabhängiger Produktionsgesellschaften, einige davon teilweise oder ganz im Besitz weißer Geschäftsleute, produzierte in den Pioniertagen speziell für die etwa 700 Filmtheater (anno 1926), die ständig oder an bestimmten Wochentagen ein Programm nur für schwarze Kinobesucher anboten. Im Gegensatz zu den Hollywood-Studios, in deren Produktionen vornehmlich schwarz geschminkte Weiße auftraten, beschäftigten die Independents Afroamerikaner vor und hinter der Kamera, in einzelnen Fällen unterstützt von profilierten Weißen mit liberaler Haltung, die immerhin riskierten, ihre Mitgliedschaft in den auf Rassentrennung bedachten Berufsorganisationen zu verlieren.
Diese Filme hatten ausschließlich unterhaltenden Charakter und orientierten sich an den Hits der großen Studios. Nicht nur aus kommerziellen Gründen waren die Produzenten der „black-orientated movies“ gezwungen, sich auf unverfängliche Themen zu beschränken — einen beträchtlichen Teil ihrer Einnahmen erzielten sie in den Südstaaten, wo die Vorführung politisch brisanter Filme beinahe zwangsläufig das Niederbrennen des betreffenden Filmtheaters zur Folge hatte.
Ausgerechnet der den Klu Klux Klan als Retter der Nation feiernde Stummfilmklassiker The Birth of a Nation gab den Anstoß zu einer Reihe von Lichtspielen, mit denen ein authentischeres Bild von der afroamerikanischen Ethnie vermittelt werden sollte. D.W. Griffith zeigte in seinem — technisch und ästhetisch innovativen — Monumentalpamphlet die Schwarzen als gemeine Mordbuben, viehische Vergewaltiger und törichte Witzfiguren, Stereotypen, die sich (nicht nur) im US- Film noch jahrzehntelang halten sollten. Die 1910 gegründete „National Association for the Advancement of Colored People“ (NAACP) und andere Bürgerrechtsorganisationen erhoben lautstark Protest gegen diese Verunglimpfung. Schwarze wie weiße Intellektuelle, Priester und Publizisten wandten sich gegen Griffiths Attacke auf die Rassenintegration. Aus Furcht vor Rassenunruhen wurde in einigen Städten die Aufführung des Films untersagt. Seinen Erfolg schmälerte dies nicht: Birth of a Nation ging als einer der ersten Kassenschlager in die Filmgeschichte ein.
Um dem propagandistischen Effekt dieses Films, der dem Klu Klux Klan nicht unbeträchtlichen Zulauf gebracht hatte, entgegenzuwirken, taten sich auf Initiative des Washingtoner Lobbyisten Emmett J. Scott Prominente verschiedener Ethnien zusammen und protegierten das Filmprojekt The Birth of a Nation. Zu den Unterstützern gehörten der Expräsident William H. Taft, Bischof Isaiah B. Scott und die Witwe des Schwarzenführers Booker T. Washington. Mittels Anteilsscheinen sollte das Kapital zur Realisierung des Filmvorhabens aufgebracht werden.
Von Anfang an war die eigens gegründete „The Birth of a Race Photography Corporation“ vom Pech verfolgt. Unregelmäßigkeiten bei der Ausgabe der Anteilsscheine brachten sie ins Zwielicht. Einige der Initiatoren mußten im Zuge des Kriegseintritts der USA ihre Mitarbeit einstellen; Scott etwa wurde als Fachmann für die Belange schwarzer Soldaten in das Kriegsministerium berufen. Überhaupt hatte der Umstand, daß die USA nunmehr eine kriegführende Nation waren, Einfluß auf den entstehenden Film: Das Skript wurde auf Veranlassung der Distributoren immer wieder geändert, die ursprünglich zentralen Episoden aus der afroamerikanischen Geschichte fielen der Schere zum Opfer. Ersetzt wurden sie durch Szenen mit Wilhelm II., der zu Beginn des Films mit seinen Generälen über den günstigsten Termin für den Beginn der Kampfhandlungen debattiert. So hofften die Autoren, von der Welle antideutscher Propagandafilme profitieren zu können. Mit einer mehr als holprigen Dramaturgie wurde versucht, alttestamentarische und historische Szenen mit einem Frontmelodram zu verbinden: ein wenig überzeugendes Unterfangen.
Independent-Firmen, auch die sehr rührige, in Los Angeles ansässige „Lincoln Motion Picture Company“ des schwarzen Filmschauspielers Noble Johnson, litten sämtlich unter Kapitalmangel. Ihre Filme mußten so preisgünstig wie möglich hergestellt werden und schnellstens Gewinn einspielen. Dem wiederum stand entgegen, daß kaum ein Film von den etablierten Verleihen übernommen wurde. So sahen sich die Unabhängigen gezwungen, den Vertrieb entweder kleinen, in vielerlei Hinsicht unzuverlässigen Firmen zu überlassen oder in irgendeiner Form selbst zu übernehmen. Eine optimale Auswertung war unter diesen Umständen kaum möglich. Oscar Micheaux, der Pionier des „Black Cinema“, fuhr mitunter persönlich mit seinen Zelluloidrollen über Land und zeigte sie in Kirchen, Kneipen und Theatern, die schwarzes Publikum zuließen.
Micheaux wurde 1884 als das fünfte Kind ehemaliger Sklaven auf einer Farm in Illinois geboren. Er arbeitete zunächst als Eisenbahnschaffner, investierte dann sein Erspartes in ein Stück Land, das er wenig später wieder verlor, angeblich aufgrund übler Machenschaften seines Schwiegervaters. Seine Erlebnisse verarbeitete er in einer Autobiographie, die er noch vor dem 30. Geburtstag vollendete. Auch seine zwei Romane — allen drei Büchern wurde das Niveau von Groschenheften nachgesagt — verlegte Oscar Micheaux selbst. Das nötige Kapital beschaffte er, indem er von Tür zu Tür reiste und weiße (!) Farmer überredete, in seinen Verlag zu investieren. Micheauxs Buch The Homesteader fiel George Perry Johnson, dem ebenfalls mit leitenden Aufgaben betrauten Bruder von Noble Johnson, in die Hände, der es gern mit seiner „Lincoln Company“ verfilmt hätte. Das Projekt scheiterte am Wunsch des Autors, persönlich die Regie zu übernehmen.
Obwohl Micheaux über keinerlei Erfahrung mit der Kinematographie und dem Vertriebswesen verfügte, gründete der ebenso risikofreudige wie geschäftstüchtige Micheaux eine Filmfirma und realisierte das Projekt auf eigene Rechnung. Damit hatte er seine Profession gefunden. Zwischen 1919 und 1948 drehte er um die 30 Filme, wobei er häufig in Personalunion als Produzent, Autor, Regisseur, Beleuchter, Cutter und Promoter fungierte. Auch bei dieser Tätigkeit kamen ihm sein Charme und seine Schlagfertigkeit zugute: Er brachte sogar weiße Theaterbesitzer aus den Südstaaten dazu, seine Filme in Matinee- oder Abendvorstellungen zu zeigen.
Man tut diesem Filmpionier gewiß nicht Unrecht mit der Behauptung, daß idealistische oder politische Motive bei ihm allenfalls an zweiter Stelle standen. Seine Lichtspiele waren hastig heruntergekurbelte, sämtlich unter technischen Mängeln leidende C-Pictures, die geläufige Hollywoodgenres ausbeuteten. Aus Gründen der Werbewirksamkeit rückte der Produzent auch schon mal das Bild einer Barbusigen ins Programm. Aber egal, ob Melodram, Gangster- oder Abenteuerfilm — Micheaux' Filme nahmen immer die Perspektive der Afroamerikaner ein und waren weniger frauenfeindlich, als seine Reklameaktionen vermuten lassen. Gelegentlich wagte er sich sogar an Tabuthemen, zeigte etwa eine Ehe zwischen schwarzen und weißen Partnern, forderte einen schwarzen Vertreter im Kongreß oder agitierte gegen den Klu Klux Klan. Die Darstellung einer Lynchszene brachte ihn 1920 in Konflikt mit den Zensoren.
Micheaux' Erfolg beruhte unter anderem auf dem Versuch, Hollywoods Starsystem zu kopieren. Der begabte Propagandist annocierte den Schauspieler Lorenzo Tucker als „schwarzen Valentino“, Ethel Moses als die „schwarze Jean Harlow“ und Bee Freeman als „schwarze Mae West“. Er setzte bevorzugt Darsteller mit hellem Teint ein und ließ ihre krausen Haare, weißen Schönheitsidealen gemäß, glätten. Anders als die Mehrzahl ihrer Zuschauer lebten viele von Micheaux' Filmhelden in gutbürgerlichem Luxus, waren gebildet, kultiviert und ihren weißen Mitbürgern gleichgestellt. Diese Traumweltinszenierungen zogen gut zwei Jahrzehnte lang das schwarze Publikum in die Kinos; gegen Ende der vierziger Jahre, als auch in den großen, ungleich besser gemachten Hollywood-Produktionen die Afroamerikaner nicht mehr ausschließlich als Negermummies und Steptänzer gezeigt wurden, erlosch das Interesse. 1948 brachte Micheaux seinen letzten Film in die Kinos; er starb drei Jahre später.
Ein würdiger Nachfahre von Oscar Micheaux ist der 1932 in Chicago geborene Melvin van Peebles. Der vielseitige Künstler hatte Englische Literatur studiert, als Navigator bei der Air Force gedient und mangels besserer Angebote in San Francisco bei der „Cable Car Company“ gearbeitet. Das einzigartige Verkehrsmittel und seine Passagiere standen im Mittelpunkt erster Veröffentlichungen. Van Peebles besonderes Interesse galt jedoch dem Film. Einige seiner Kurzfilme bot er in der Kinometropole Hollywood zum Verkauf an, bekam aber von den Agenten bestenfalls Auskünfte wie: „Wenn Sie Steptanz beherrschen, kann ich etwas für Sie tun.“
Van Peebles ging zunächst nach Amsterdam, wo er studierte und als Schauspieler arbeitete. Später zog er nach Frankreich, um zielstrebig der Verwirklichung seines ersten abendfüllenden Spielfilms entgegenzuarbeiten. Zunächst einmal machte er sich einen Namen als Journalist. So fiel es ihm leichter, einen Verleger für seinen Roman The Pass zu finden, den er nach der Veröffentlichung zu einem Filmtreatment umarbeitete. Dieses konnte er endlich mit Hilfe staatlicher Fördermittel realisieren. Die 1967 in Frankreich produzierte lakonische Komödie La Permission gelangte über das San Francisco Film Festival in die Heimat des Regisseurs und fand dort sogar einen Verleih. Damit nicht genug, erhielt van Peebles von Columbia Pictures einen festen Vertrag. Für das Studio drehte er 1969 The Watermelon Man, eine weitere Burleske mit antirassistischer Thematik. Auf Dauer jedoch konnte sich der eigensinnige Filmemacher mit dem bürokratischen System des Studios nicht anfreunden.
Im Februar 1970 fuhr van Peebles in die Einsamkeit der Mojave Wüste. Er wollte in völliger Autonomie einen kompromißlosen Film drehen, ein emanzipatorisches Manifest. Wie zuvor in Frankreich ging er erneut strategisch zu Werk. Er kündigte an, einen pornographischen Film drehen zu wollen, um sich der Kontrolle der amerikanischen Gewerkschaften und Berufsverbände zu entziehen, die die Aufnahme schwarzer Mitglieder seinerzeit noch verweigerten. Mit „Schmuddelfilmen“ geben sich die „Unions“, die normalerweise eifersüchtig darüber wachen, daß eine ausreichende Anzahl ihrer Mitglieder beschäftigt wird, nicht gern ab. So konnte van Peebles seinen Stab mit nicht gewerkschaftlich organisierten Afroamerikanern und Immigranten aus Dritte-Welt-Ländern besetzen. Jede Kleinigkeit, vom Plot bis hin zum der Slang-Sprache entnommenen TitelSweet Sweetback's Baadasssss Song, war Ergebnis sorgfältiger Überlegungen. Van Peebles verantwortete nicht nur Buch und Regie, sondern übernahm auch selbst den Schnitt, komponierte die — sehr bewußt eingesetzte — Musik und spielte die Hauptrolle.
Sein Konzept, das er selbst „Guerilla Cinema“ nannte, ging auf. Sein Film erreichte trotz des minimalen Budgets, unabhängiger Produktion und Vertrieb durch einen Kleinverleiher ein (überwiegend afroamerikanisches) Millionenpublikum, das im Kino endlich etwas sehen konnte, was ihm von der weiß majorisierten Filmindustrie bislang vorenthalten worden war: einen Gewinner mit schwarzer Hautfarbe. A Baadasssss Nigger is coming back to collect some dues drohte noch der Schlußtitel des Films allen Weißen an, die sich in die Vorführung verirrt haben mochten.
Das Erfolgsrezept von Sweet Sweetback's Baadasssss Song und Shaft wurde später inflationär angewendet in einer Fülle von „Blaxploitation Movies“, die von 'Newsweek‘ 1972 als „erste Goldmine seit Jahren
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