Endlich: Das „Aus“ für Tschernobyl

■ Ukrainisches Parlament beschließt Stillegung des Unglücksreaktors/ Atom-Länder werden gebeten, einen Teil der Kosten zu übernehmen/ Im Hintergrund der Entscheidung: der ukrainische Wahlkampf

Kiew (afp/taz) — Innerhalb von 14 Monaten soll das Atomkraftwerk Tschernobyl abgeschaltet werden. Dies beschloß am Dienstag das ukrainische Parlament. Gleichzeitig entschieden die Abgeordneten, den zweiten Reaktorblock gar nicht erst wieder in Betrieb zu nehmen. Im Turbinenraum dieses Blocks war am 11. Oktober ein Feuer ausgebrochen. Seitdem steht der Reaktor still.

„Angesichts der technischen Mängel und des gesellschaftspolitischen Klimas ist das die beste Entscheidung“, kommentierte Wladimir F. Shovkoshytny, Präsident der Tschernobyl-Union und Miglied des ukrainischen Parlaments den Beschluß. Nach seinen Worten ist die Schließung des maroden AKWs aufgrund des Drucks der BürgerInnen sowohl in der Ukraine als auch im Ausland zustande gekommen. Zudem hätte das vor drei Wochen ausgebrochene Feuer die Entscheidung beschleunigt.

Im April 1986 hatten ein Brand und eine Kernschmelze in Reaktor Vier des Atomkraftwerks zur bislang größten Katastrophe in der zivilen Nutzung der Atomenergie geführt. Bei dem Unglück waren offiziellen Angaben zufolge 32 Menschen ums Leben gekommen oder an den Folgen der Strahlung gestorben. Nach inoffiziellen Schätzungen haben bei der Katastrophe bis zu 10.000 Menschen ihr Leben verloren. Das ukrainische Parlament bat gleichzeitig ausländische Spezialisten, bei der Stillegung zu helfen. Die Parlamentarier appellierten an alle Atomländer, mit Geldspenden dieses Vorhaben zu unterstützen, weil sonst der geplante Schließungstermin nicht eingehalten werden könne. Die Kosten der Schließung werden auf 15 Milliarden Dollar geschätzt. Die Vereinten Nationen bat das Parlament, mit einem „wissenschaftlich- technischen Programm“ die Abschaltung des AKWs zu unterstützen.

Nachgedacht werden soll nun außerdem über alternative Energiequellen. Hierzu soll eine Expertenkommission bereits bis zum 15. November einen Bericht erstellen. Bisher werden insgesamt zehn Prozent der ukrainischen Stromproduktion ins Ausland exportiert.

Am 1. Dezember wählen die Ukrainer einen neuen Präsidenten. Der wieder für das Amt kandidierende gegenwärtige Präsident Leonid Krawtschuk hatte sich noch vor drei Wochen dafür eingesetzt, die Anlage erst 1995 stillzulegen. Sein aussichtsreichster Kontrahent, Wjatscheslaw Tschornowil, forderte dagegen ein sofortiges Abschalten. Die sowjetische Regierung hatte angekündigt, die Vollmacht über die Atomkraftwerke zum 1. November an die Republiken zu übergeben. baep