Roma besetzen Münsteraner Dom

Fünfzig Roma, die von der Abschiebung nach Jugoslawien bedroht sind, campieren in der Kirche/ Stadtrat philosophiert über das Gewaltpotential von Kühlschränken  ■ Aus Münster Thomas Dreger

Das ist eine Störung der Vesper. Das geht doch nicht, daß in einer Kirche Klos aufgestellt werden und Kinder frei herumlaufen.“ Der Küster war außer sich. Rund 50 Roma und etwa ebenso viele deutsche Unterstützer sowie zwei von ihnen mitgebrachte chlorgrüne mobile Klohäuser rührten an den Grundfesten seines Glaubens. Die akut von der Abschiebung nach Jugoslawien bedrohten Roma campieren seit Mittwoch mit Matratzen, einem Zelt und einem Kühlschrank in Münsters Heiligtum, dem Dom. „Besetzung“ nennt das die Stadtverwaltung, von „Zufluchtnahme“ sprechen Roma und ihre Unterstützer.

Die nordrhein-westfälische Landesregierung hatte zum 12. September den Abschiebestopp für Roma aus Jugoslawien aufgehoben, die Frist in Münster verstrich heute nacht um 24.00 Uhr. Danach mußten die Roma befürchten, jeden Moment in den Bürgerkrieg abgeschoben zu werden.

Doch die Aktion zeigte inzwischen erste Erfolge. Während der für das Ordnungsamt zuständige Stadtrat Hans-Joachim Gersch am Mittwoch nachmittag gegenüber einer Delegation der Roma noch die These vertrat: „Für mich ist es gewalttätig, mit Kühlschränken in ein Gotteshaus zu ziehen“, beschloß der Haupt- und Finanzausschuß der Stadt am Mittwoch abend eine von der CDU-Fraktion eilig eingebrachte Resolution, in der er sich „für ein Verbleiben der in Münster lebenden jugoslawischen Staatsangehörigen — auch Roma — einsetzt, „solange in Teilen Jugoslawiens inhumane Lebensbedingungen aufgrund des Kriegszustandes herrschen“. Die Verwaltung solle „im Rahmen der notwendigen Einzelfallprüfung über die Duldung ihr Ermessen zugunsten dieser Menschen ausüben“. Hinter den Kulissen machte sich auch der Hausherr des Gotteshauses, Domprobst Heinz Mussinghoff, für die Schutzsuchenden stark. Der Stadtverwaltung signalisierte er, daß eine Räumung des Domes für ihn nicht zur Diskussion stünde.

Nach einer nur vom stündlichen Glockengeläute und einem Frühgottesdienst der Clarissen-Schwestern unterbrochenen Nachtruhe marschierte dann gestern eine Delegation der Roma und ihrer Unterstützer zum Stadthaus. Im Gespräch mit den Leitern von Ordnungsamt und Ausländerbehörde wurde schnell klar: Knackpunkt ist die Einzelfallprüfung. Die münsterschen Beamten bestehen darauf, jeden Roma einzeln zu befragen und dann zu entscheiden, ob er abgeschoben oder geduldet wird oder ein Asylverfahren eingeleitet wird. Da diese Untersuchung einige Zeit dauert, räumte die Verwaltung schließlich allen jugoslawischen Roma ein vorläufiges Bleiberecht bis zum 6. Januar ein. Ein Aufschub, aber keine Lösung.

Zu Redaktionsschluß wurde im Dom noch heftig diskutiert, ob man dem mündlich gemachten Versprechen zweier Verwaltungsbeamter trauen oder lieber in der Kirche ausharren solle. Verärgert waren vor allem die Unterstützer der Roma darüber, daß die jahrhundertelange Verfolgung und Diskriminierung von Roma und Sinti in Deutschland kein Hinderungsgrund für eine Abschiebung darstellt. Ein Polizist vor dem Dom hatte da offenbar mehr begriffen als die Stadtverwaltung. Auf die Frage eines Passanten, warum man die Roma nicht einfach rausschmeißen und nach Hause schicken könne, erwiderte er: „Dafür haben wir in der Vergangenheit leider zu viele von ihnen vergast.“