Geschmack der Elendsviertel mitten in der Hauptstadt

»Sabor da Favela«, das heißt aus dem Portugiesischen übersetzt: Der Geschmack der Elendsviertel. Und »Sabor da Favela«, das ist seit etwa fünf Wochen auch eine brasilianische Bar, die sich im weiß gekalkten Keller eines besetzten Hauses in der Ostberliner Mauerstraße angesiedelt hat. Und keine Frage, die winzige Bar strahlt tatsächlich das verklärt- romantische Flair südamerikanischer Slums aus.

Ins Innere des baufälligen Gebäudes gelangt man nur durch einen Mauerdurchbruch, keine Tür, und weiter geht's auf ungewissen Pfaden. Ein Schild, das eigens zur Nichtbeachtung gefertigt wurde, warnt noch: »Privat! Kein Zutritt für die Öffentlichkeit!« Und dann geht's schummerig aber flitterbandgesichert abwärts, bestenfalls noch leuchten Kerzen den Weg in tropische Kellernächte. Und plötzlich steht man drin, und alles sieht so aus wie die geheimen Buden und Bretterverschläge, die sich sonst nur Jugendliche in verschworenen Gemeinschaften einzurichten vermögen. Die Tapeten sind wegen der Feuchtigkeit einfach an die Wände genagelt. Der Boden wurde mit alten Teppichresten ausgelegt. Auf den Tischen, um die sich abgewetzte Clubsessel scharen, liegen schwere Decken. Als karger Wandschmuck dienen kitschige brasilianische Reiseplakate und alte Erdnußsäcke.

Und doch gibt es wohl in ganz Berlin keinen anderen Laden, der soviel Freundlichkeit, eine so zarte Atmosphäre ausstrahlt wie der »Brasilianer«; so jedenfalls wird die Untergrundbar im Volksmund oft mangels besseren Wissens genannt... denn schließlich existiert ja kein Kneipenschild.

»Es ist halt alles ein bißchen improvisiert, eben genau wie in einem Favela«, erklärt einer der zwei brasilianischen Betreiber, die beide ungenannt bleiben wollen. Nichts ist deutsch: Es gibt kein Bier, sondern vorzugsweise Zuckerrohrschnaps und dessen Abkömmlinge, wie beispielsweise der süßleckere Caipirinha, ein Drink aus Limonen, Zucker und natürlich Schnaps. Ansonsten werden Kaffee und ganze wiederum zuckerrohrschnapsgefüllte Kokosnüsse und Ananas gereicht. Im Hintergrund läuft Samba oder Bosa Nova. »Wir fühlen uns hier selbst wie zu Hause«, führt einer der Zufalls- Besetzer-Wirte lächelnd aus, und sofort ist man geneigt, ihm Vertrauen zu schenken.

Und das alles mitten im Neuen- Doitschen-Hauptstadtgefühl, kaum zu glauben. Und sicher wäre es besser gewesen, kein Sterbenswörtchen über den Laden zu verlieren: Sonst reitet die deutsche Behördengründlichkeit womöglich noch schneller ein und fällt endgültig über den noch wilden Osten her, um all die Blüten verschrobener Nachtschattengewächse rechtlich niederzutrampeln. Die Gefahr spüren natürlich auch die Betreiber, die beide nebenher noch studieren: »Ewig geht das bestimmt nicht gut...« Aber bis dahin dürfen sich auch alle noch mal so richtig wohlfühlen, wenn sie über Müll- und Bauschutthalden klettern, um in illegalen Kaschemmen die Dunkelzeit zu überdauern. Eben, so richtig schmuddelig, und herzlich! Und nicht anders ist wohl auch der enorme Zulauf in dem »Bermudadreieck« zwischen Mauer-, Kronen- und Leipziger Straße zu erklären. Mit dem Kellertanzschuppen WMF, dem vom Schnitt- zum Schankplatz gewandelten Friseur und last but not least dem »Sabor de Favela« ist das Kneipentriumvirat in Berlin-Mitte komplett, jedenfalls vorläufig.Andreas Kaiser

»Sabor da Favela«, Mauerstraße 15, Mitte, täglich ab 22 Uhr