Jedem Blatt seine Krise

■ Linke Zeitungen zwischen »Kampfblatt«-Ansprüchen und gestiegenen Marktanforderungen

Krank sind sie alle, die linken Zeitungen, aber wie schwer erkrankt und von welchem Virus befallen, darüber sind sich die Patienten uneinig. Gemeinsam ist ihnen freilich, daß sie allesamt noch nach dem richtigen Rezept suchen, um wieder auf Gesundungskurs zu kommen. Einige, auch das machte die Patientenversammlung anläßlich einer Podiumsdiskussion vor einer Woche deutlich, haben nicht mehr viel Zeit, das heiltätige Elexier zu finden.

Zusammengeholt hatte das Patientenkollektiv die Westberliner autonome Monatszeitschrift 'Prowo‘, die sich das einst anvisierte 'Projekt Wochenzeitung‘ derzeit auch in die Haare schmieren kann. 'Neues Deutschland‘, 'die Andere‘, 'Freitag‘, 'Junge Welt‘ und taz waren im Haus der Demokratie vertreten.

»Die« Krise gibt es nicht für die linken Zeitungen; aber eine jede kämpft mit ihrer Krise. Bei der 'Prowo‘-Fragestellung, ob linke Zeitungen in der Krise sind, weil es keine sozialistische Linke und keinen Sozialismus mehr gibt, winken vor allem taz und 'Andere‘ ab. Mit den stalinistischen Autokraten im Osten und ihren westlichen Vasallen-Parteien hatte die taz schließlich nie was am Hut. Es sind auch nicht vornehmlich Konkurrenzprobleme — auf einem zu klein gewordenen Markt sich gegenseitig den Platz wegzunehmen —, der den linken Zeitungen zusetzt. Zu verschieden sind die Produkte und die Zielgruppen. Der taz wird es vermutlich keinen Abonnenten mehr bringen, wenn das 'Neue Deutschland‘ sein Erscheinen einstellt.

Das 'Neue Deutschland‘ — Auflage bereits unter 100.000 täglich — muß erst mit seinem Stalinisten-Publikum fertigwerden. Chefredakteur Spickermann pfeift im Walde und ist optimistisch, den »Wandel von der straffen Parteizeitung zum diskussionsbereiten Blatt« zu bewerkstelligen. Auch die 'Junge Welt‘ (Auflage: täglich 120.000), unter das Dach des Westverlags Schmidt und Partner geschlüpft, muß neue Leserschichten treffen.

In der Mitte zwischen ehemaliger DDR und alter BRD steht der 'Freitag‘, die Melange aus dem DDR- Blatt 'Sonntag‘ und dem ehemaligen westdeutschen DKP-Blatt 'Volkszeitung‘. Bei der heterogenen Leserschaft muß sich erst noch herausstellen, ob der ideologische Ballast im Westen oder Osten größer ist. Derzeit habe das Wochenblatt eine Auflage von 35.000, heißt es.

Auf der Intensivstation liegt bereits 'die Andere‘, die Zeitung der ostdeutschen Bürgerbewegung. »Es wird uns auch weiter geben«, beteuert Redaktionsleiter Klaus Wolfram, allerdings mit wöchentlich nur noch sechzehn Seiten. Auch das Profil soll sich ändern. So will man der Auflösung der Bürgerbewegung, Hauptgrund der Auflagenkrise, Rechnung tragen. Derzeit werden wöchentlich 15.000 Exemplare verkauft. Man habe »kein politisches und ideologisches Problem«, glaubt Klaus Wolfram, sondern ein praktisches: nämlich aus Geldmangel die Leser nicht zu erreichen, die man ansprechen wolle. Auch die 'Prowo‘, — Auflage unter 2.000 monatlich — bekommt zu spüren, wie die Krise der Linken bis zum Zielgruppenpublikum der Autonomen durchschlägt. Redakteur Mathias gesteht, das Projekt sei ständig an der Kippe.

Keine Antwort gab es auf die Frage, was denn die Krise der Linken sei, wie auch »links« völlig unterschiedlich interpretiert wurde. Dafür aber wurde viel Ideologie produziert. Die Prowo, einst aus Enttäuschung über den angeblichen Verrat der taz an der autonomen Bewegung entstanden, hat in der taz weiter ihr geliebtes Haßobjekt. Das Streben nach einer »hemmungslosen Fremdkapitalisierung« und das »Hinterherhinken hinter einer entideologisierten Klientel« wurde der taz als Krisenursache angeboten. Sie müsse wieder »Kampfblatt« werden, wurde gefordert. Wie aber soll der Prowo- Vorwurf bewertet werden, die taz habe Dirk Schneider wegen seiner Stasi-Spitzeleien »fertiggemacht«? Verfassungsschutz schlecht, Schneider gut? Daß die Krise der radikalen Linken möglicherweise auch damit zu tun hat, daß sie wie in einer Traumwelt die bundesdeutsche demokratische Wirklichkeit und ebenso die ungeschminkte Verderbtheit des Sozialismus negiert habe und jetzt mit dem frischen Durchzug nach dem Fall der Mauer die ideologischen Scheuklappen ins flattern geraten, mochte andererseits die 'Prowo‘ nicht akzeptieren.

Immerhin rückte ins Blickfeld, daß beim Zeitungsmachen auch die KäuferInnen eine gewichtige Rolle spielen. »Jede Zeitung, die nicht Vereinsblatt sein will, muß sich dem Markt stellen«, erinnerte Regine General vom 'Freitag‘. Und da besteht zwischen den privaten Lebensinteressen der LeserInnen und dem Angebot der linken Zeitungen offenbar eine Kluft. Möglicherweise aber liegen die Auflagenprobleme vor allem im gedanklichen Dogmatismus der Linken begründet, vermutet nicht nur Regine General. Es sei »erschreckend, wie engstirnig die Linke ist«: ein »falscher« Beitrag, und schon werde abbestellt. Das sei die »Enge, die es unmöglich macht, sich gegenseitig wahrzunehmen«, befand Frau General. Konservatismus als linker Krisenvirus? Gerd Nowakowski