Der Mord als heilige Handlung

■ Die Renaissance- Malerin Artemisia Gentileschi in Florenz

Niemand, der die Busen der Damen so blendend weiß und die Blicke der Männer so begehrlich gemalt hätte. Dem Xerxes fallen buchstäblich die Augen aus dem Kopf, als die schöne Esther in ohnmächtiger Schwäche in die Arme ihrer Dienerinnen sinkt. Niemand, der den Voyeurismus, den schamlosen Blick der Männer auf die Frau als Objekt der Begierde, malerisch schärfer gefaßt hätte. Die nackte Susanne windet sich abwehrend unter den zudringlichen Blicken der beiden Alten. Niemand aber auch, der die Rache der Frau am Mann blutiger und erschreckender vorgeführt hätte. Judith, die dem Holofernes den Kopf vom Körper trennt, Jahel, die dem Sisara heimlich einen Nagel ins Hirn treibt, die triumphierende Salome mit dem Haupt des Täufers.

Die Rede ist von Artemisia Gentileschi, der ihre Geburtsstadt Florenz jetzt die erste große monographische Ausstellung ausgerichtet hat. 1593 wurde sie als Tochter eines bekannten florentinischen Malers geboren, dessen Kunst sie in der Folge übertreffen sollte. Die Ausstellung macht das deutlich, indem sie Bilder von Vater und Tochter im ersten Saal der Casa Buonarotti gegenüberstellt, einem alten Renaissancepalast, der einst dem Michelangelo gehörte. Wirken Judith und ihre Dienerin mit dem Kopf des Holofernes in einem Korb auf dem Bild von Orazio Gentileschi wie zwei Frauen, die vom Markteinkauf kommen, steht ihnen bei Artemisia der Schock über die Tat noch im Gesicht geschrieben.

Mit einer Handvoll Meisterwerke wie diesem hat sich die Künstlerin in die Galerie unsterblicher Bilder gemalt. Zu ihnen gehört die wiederholte Darstellung des Judith-Motivs, deren Drama die Künstlerin nicht nur (wie andere so oft) nach, sondern auch während der Tat zeigt. Auf Riesenleinwänden breitet sie das Geschehen vor unseren Augen aus. Dabei lassen sich zwei Versionen unterscheiden. Bei der zeitlich jüngeren aus dem Capodimonte-Museum in Neapel wirken Judith und ihre Dienerin wie zwei Schwestern. Kaum sichtbar sind die Standesunterschiede. Nur das blaue Kleid der Judith ist etwas reicher bestickt als das rote ihrer Helferin. Gnadenlos drücken sie den Holofernes auf sein Lager nieder. Dabei scheint die Jüngere von der Tat erregt, die Farbe des roten Kleides steigt bis in ihr Gesicht, während Judith mit mitleidloser Kälte das Schwert führt. Die Ärmel der Kleider haben sie aufgerollt wie zu einer schmutzigen Arbeit. In vergeblicher Abwehr verkrampfen sich die Hände des Tyrannen. Schmerz und Schrecken, Überraschung und der nahende Tod malen sich in seinen Augen.

In der zweiten, späteren Version aus den Uffizien spritzt das Blut des Holofernes noch höher. Wie eine Fontäne fährt es über Busen und Arme der Exekutorinnen. Standes- und Altersabstand werden stärker herausgearbeitet. Die Gewänder sind gold und blau. Die Künstlerin malt die beiden Mörderinnen in den Farben mittelalterlicher Madonnen. Die Greueltat wird zur heiligen Handlung. Mehr noch als dem historischen Tyrannen wird hier der Tyrannei des Mannes ein gewalttätiges Ende gesetzt.

Dabei ist die Szene scharf ausgeleuchtet und von einer realistischen Drastik, die in der Malerei dieser Zeit ihresgleichen sucht. Virtuos sind die Farben intoniert und die Hell-Dunkel-Effekte inszeniert. Radikal unbekümmert um die Gestaltung des Hintergrundes, der sich in schwärzlicher Unbestimmtheit verliert, interessiert sich die Malerin nur für die Charakterisierung der Personen, die sie präzise individualisiert. Das hatte zuvor nur einer so gekonnt: Caravaggio, der 1610 starb, als Artemisia 17 Jahre alt war, und als dessen legitime Nachfolgerin sie gilt.

Aufgrund ihrer Frauendarstellungen gilt die Gentileschi vielen als erstes Beispiel einer befreiten, feministischen Malerei. Richtig indes ist, daß die Ikonographie ihrer Bilder durchaus dem damals üblichen Kanon religiöser und mythologischer Motive folgt. Da finden sich genausogut unschuldige Madonnendarstellungen, Heilige mit reizendem Blumenschmuck im Haar, anmutige, engelsgleiche Lautenspielerinnen. Perfekt gemalt. Kein Wunder, daß die Künstlerin zu ihrer Zeit eine begehrte Auftragsmalerin war. Richtig ist aber auch, daß Artemisia Gentileschi nie eindringlicher ist, als wenn sie die beleidigte oder die sich rächende, sieghafte Frau darstellt.

Sicher ist das der Grund, warum im Zusammenhang mit dem Genie der Malerin immer wieder auf ein düsteres Ereignis in ihrem Leben hingewiesen wird. Als junges Mädchen wurde sie von einem Künstlerkollegen ihres Vaters in dessen Werkstatt vergewaltigt. Auf ihre Initiative wurde der Mann schließlich angeklagt und endlich verurteilt. Das Verfahren war langwierig und demütigend — wie oft auch heute noch.

Wenn es denn einen Zusammenhang zwischen malerischer Meisterschaft und der Geschichte ihrer Verletzung geben sollte, dann kommt er wohl am subtilsten auf einem Selbstbildnis zum Asudruck, das als Allegorie der Malerei betitelt ist. Im Vordergrund findet sich groß die Künstlerin: ein leidenschaftlicher Mund, energische Züge, ein selbstbewußter Blick, der sich herausfordernd auf den Betrachter richtet. In der einen Hand die Palette, in der anderen der Pinsel. Die Porträtierte selbst ist dabei, ein Porträt zu malen: Mit traumhafter Sicherheit schafft sie das eines Mannes. Dieses Bild gilt nicht nur dem neuen Selbstverständnis des seit der Renaissance zum Individuum erwachten Künstlers, sondern es träumt auch den Traum von der Umkehrung des Schöpfungsmythos. Michael Stoeber

Casa Buonarotti, jeden Tag außer Dienstag, von 10 bis 18 Uhr, bis 4. November (voraussichtliche Verlängerung um einen Monat), Katalog: 45.000 Lire