WATSCHELNDER GELDSACK - EINHEIMISCHER LAFFE

■ Willkommen an der türkischen Riviera: Urlaub so nett, sauber und adrett wie zu Hause

Willkommen an der türkischen Riviera: Urlaub so nett, sauber und adrett wie zu Hause.

VONERDMANNBRASCHOS

Es ist brütend heiß im Dolmus, einem der unzähligen kleinen türkischen Überlandbusse, die losfahren, sobald sich genug Fahrgäste zusammengefunden haben.

Ich fahre westwärts, um die Küste Richtung Fethije zu erkunden. Zunächst schleicht der kleine Transitbus durch die überfüllten Straßen, rollt von Ampel zu Ampel, bis er nach einer Weile die Stadt verläßt.

Am Stadtrand von Antalya traue ich meinen Augen nicht : Dort, wo vor vier, fünf Jahren über das steppenartige Land durch den Dunst hinüber zum Taurusgebirge zu blicken war, verstellen jetzt Dutzende fertiger und halbfertiger Hochhäuser den Blick. Sie nehmen es an Zahl und Größe locker mit dem Märkischen Viertel in Berlin, München Neuperlach oder Hamburg Steilshoop auf. Und zwar zusammen.

Hier hat die architektonische Moderne zugeschlagen, die Utopie Gropiusscher Wohnmaschinen in Gestalt hastig in den Himmel hineinbetonierter Massenquartiere. Ein Betonregal neben dem anderen. Das graue Baumaterial im mediterranen Weiß betüncht, die Geländer soeben angeschweißt, Fenster eingesetzt — schon hängt die Wäsche draußen, in der subtropischen Schwüle des Golfes von Antalya. Einige Meter weiter das nächste Building, der Blick hindurch wird bereits von den nächsten Rohbauten versperrt.

„Yatak, yatak“, erklärt mir mein verschmitzt und ein wenig stolz lächelnder Nachbar, ein junger Türke. Betten, Schlafstellen, meint er und stellt die Gemüsetüte zwischen seinen braunen Füßen in Akdeniz-Badeschlappen ab.

Antalya, das war vor einem Jahrzehnt noch eine beschauliche Stadt mit einem Bazar, wenigen Hotels und einem idyllisch gelegenen, ein wenig verwaisten Fischerhafen. Heute reproduzieren die Touristiker dieses Bild: „Antalya, die lachende Schöne“, heißt es. Doch längst schon greift Antalya als Moloch Großstadt um sich. Breite Alleen und Ausfallstraßen wurden angelegt, das Rollfeld des bescheidenen Flughafens zu einem modernen Flugplatz ausgebaut, der Hafen zur pittoresken Staffage mehr oder minder gelangweilter und spendierfreudiger Touristen herausgeputzt; die Stadt platzt aus den Nähten wie eine alternde, überfressene Diva.

Wir fahren um das Neubauviertel herum. Ich möchte mich mit einem Blick auf das friedlich in der Sonne glitzernde Meer beruhigen und mich auf die Reise besinnen. Nichts da: Zwei protzige terrassenförmig angelegte Hochhäuser versperren die Sicht, thronen feist über dem Kliff an der westlichen Zufahrt zur Stadt — wie zwei Findlinge aus Miami, Monaco oder Mallorca.

Im Sheraton und nebenan im Steigenberger/Felaz Hotel kann man gediegen für das Monatsgehalt eines Familienvaters schnarchen, der wenige hundert Meter weiter in Suburbia mit Ach und Krach eine Wohnung für seine mehrköpfige Familie mieten kann.

Der Bus folgt der Küstenstraße zum Meer hinunter und passiert das Rondell des Kreisverkehrs mit großen Lettern: „hos geldiniz“. Das Schild des Willkommensgrußes hat etwas Rost angesetzt.

Unten, am breiten, kilometerweit geschwungenen Kiesstrand machen die Einheimischen Urlaub oder ruhen sich einen Tag am Meer aus: Die Renaults und kleinen türkischen Fiats an der Straße geparkt, dahinter ein paar schlapp in der stickig- schwülen Brise flatternde Zelte. Die „türkische Riviera“, der ein-, zweihundert Kilometer lange Küstenstrich zwischen Antalya und Dalaman im Sommer 1991. Es ist wieder voll hier, der zeitweilige Zusammenbruch des Türkei-Tourismus als eine vieler Folgen des Golfkrieges scheint vergessen.

Das war im Mai '91, vor wenigen Monaten, noch anders. Die Strände, Hotels, Restaurants, die historischen Trümmerfelder von Termessos, Patara oder Xantos blieben weitgehend leer. Der Klub „Salima Beldibi“ wird von Aydin Aytug geleitet — einem freundlich-aufgeschlossenen Türken in den 30ern, salopp gekleidet und mit lockeren Umgangsformen.

Im Mai '91 habe man 35 Prozent weniger Gäste als im Mai vergangenen Jahres gehabt, berichtet Aytug, das Personal von 320 auf 245 reduziert und versucht, die Zeit mit Renovierungsarbeiten und Schulungen zu überbrücken. Einige der Ferienklubs an der Küste und manches Hotel öffnete erst zum Opferfest am 22. Juni. Zwei der etwa acht Klubanlagen der Gegend blieben damals vorerst geschlossen, ein Nobelhotel in Side sei trotz Fertigstellung erst gar nicht geöffnet worden. Viele Hoteliers und Touristikmanager lockten mit Sonderangeboten , um in den mageren Monaten wenigstens Umsätze zu verbuchen und die nötigsten Kosten zu decken. Aytug hielt davon nichts: „Der Tag kostet hier im Klub pro Person derzeit 75 DM/Halbpension. Das ist bereits günstig. Wir haben seit drei Jahren die Preise nicht mehr erhöht. Wer die Preise reduziert, macht sich selbst kaputt: Er muß den Service und das Personal reduzieren. Das senkt das Niveau. Das Personal in der Türkei wird aber von Jahr zu Jahr teurer. Ausländische Reiseveranstalter versuchen aus der Türkei ein Land für den Billigtourismus zu machen. Aber die meisten Hotels und Feriendörfer der Gegend hier sind gerade zwei, drei Jahre alt und tragen vier oder fünf Sterne. Viele Hoteliers haben sich Geld geliehen, Schulden gemacht, die jetzt abbezahlt werden müssen.“

Als im Laufe der späten 80er Jahre die Türkei zum begehrten Pauschalreiseziel avancierte, da ahnten viele einheimische Investoren, daß der Boom bereits der Vergangenheit angehören könnte, wenn sie mit ihren Hotels und Feriendörfern fertig sind. Es wurde allerorten schnell gebaut. Hastig, teils ohne oder mit fragwürdigen Genehmigungen entstanden über Nacht ganze Feriensiedlungen, Hotelanlagen und die nötige Infrastruktur.

Feriendörfer mit fragwürdiger Genehmigung

„In den vergangenen vier oder fünf Jahren wurde die Zahl der Hotelbetten jedes Jahr um 30 bis 40 Prozent gesteigert. Allein im benachbarten Nobelort Kemer wurde die Bettenkapazität in den letzten Jahren um 300 Prozent erweitert. Jetzt haben wir das Überangebot“, klagt Aytug. Dabei hatte alles einmal durchdacht und mit ambitionierten Plänen angefangen. „South Antalya project“ nannte sich ein breit angelegtes Konzept zur Bebauung der Antalya-Region.

Vor zehn, fünfzehn Jahren war Kemer noch ein verschlafenes kleines Dorf zu Füßen des 3.000 Meter hohen „Ak Dag“, eines bis ins Frühjahr hinein schneebedeckten Berges. In Kemer gab es ein breites, ab dem Frühjahr ausgetrocknetes schotteriges Flußbett, eine weit geschwungene Sandbucht zwischen zwei von Pinien beschatteten Anhöhen, ein urig entlegenes Feriendorf des französischen Clubs Mediterranee. Sonst nichts. Das benachbarte Beldibi war im wesentlichen ein Pinienwald. Für die grün überwucherten Trümmer der antiken Hafen- ud Befestigungsanlagen des unweit gelegenen Phaselis — einst der bedeutendste Handels- und Kriegshafen im östlichen Mittelmeer — interessieren sich nur ganz enthusiastische Philhellenen und extrem veranlagte, bis nach Anatolien vordringende Lateinlehrer.

Aus diesem Idyll am Rand des Golfes von Antalya sollte mehr oder minder behutsam ein Urlaubsziel für sonnen- und kulturhungrige Mitteleuropäer werden: Mit einer Bebauung nach strengen Auflagen, weniger als vier-, äußerstenfalls sechsgeschossigen Häusern, deren Dachterrassen kaum über die Baumkronen der Pinienwälder ragen würden. Es sollten keine Ferienretorten nach spanischem oder italienischem Vorbild entstehen. Die Fehler anderer Reiseländer sollten keinesfalls wiederholt werden.

Heute muß man die Idylle suchen: zwischen dem Jachthafen und hinter der bewässerten, herausgeputzten und künstlich angelegten Parkanlage. Hier werden die Gäste allabendlich mit türkischer Folklore aus baßstarken Boxen, Bauchtanz, Restaurants und Kamelvorführungen beglückt. Anatolien für Urlauber, die es auch im Urlaub gern so nett, sauber und adrett haben wie daheim.

Der Eintrittspreis für den Swimmingpool ist nicht allein für die Einheimischen unerschwinglich, er läßt auch gutverdienende deutsche Urlauber zögern. Hotels, Ferienklubs und der Jachthafen sind fest in deutscher, österreichischer, in französischer, italienischer, holländischer oder belgischer Hand. Engländer, Skandinavier, Australier oder Amerikaner — they all like it here.

Man spricht deutsch — wenn es sein muß auch englisch. Bezahlt wird nicht in türkischen Lira, der weichen Landeswährung, über deren rapiden Verfall sich die Gastwirte Tag für Tag in der Zeitung informieren, bevor sie beim Kassieren die harten Devisen in die allzeit bröckelnde Landeswährung konvertieren. Zu den besonders beliebten Tischgesprächen der gutsituierten Urlauber gehören jene über „die Preise“ im Land. Ein Abendessen mit mehreren Gängen zu einem Preis, für den man in der Heimat gerade mal eine lieblos zubereitete Bockwurst mit einer Scheibe Graubrot auf die Theke geknallt bekommt und wo der Service sich in der freien Wahl zwischen Ketchup und Senf erschöpft. Hier in der Türkei war auch der kleine Mann, der deutsche Normalverdiener, König.

Aber mittlerweile wurde nicht nur das Deutsch auf den Speisekarten perfekter — die Gastwirte vor Ort können mittlerweile genau einschätzen, wie groß das Budget der Urlauber ist. Sie haben dazu gelernt: Fischgerichte und Weine sind mittlerweile fast so teuer wie in deutschen Lokalen.

Marmaris — Endstation des Massentourismus

Das Wort „Marmaris“ existierte bis vor fünf oder zehn Jahren noch gar nicht im Sprachschatz des polyglotten Mitteleuropäers. Marmaris, das war einst ein Dorf — an einer großen, geschützten, von Bergen umschlossenen Bucht gelegen: mit alten Männern beim Brettspiel, Hühnern in den Gassen, einigen Fischerbooten und einem Markt, im Sommer brütend heiß. Seit Mitte der 80er Jahre schickt es sich an, zum türkischen Bernidorm zu werden. Aber längst schon gibt es ein der Gegend entliehenes Wort für die rasante Urbanisierung einstmals idyllischer Dörfer und Hafenstädtchen. Kritiker der mittlerweile steuer- und zügellosen touristischen Expansion sprechen von der „Bodrumisierung“ der Küste. Die Hafenstadt Bodrum liegt noch einige Autostunden weiter nordwestlich von Marmaris und war demzufolge noch früher dran mit dem Fremdenverkehr. Die „Bodrumisierung“, das ist die Verwandlung eines anatolischen Städtchens mit einer über Jahrhunderte gewachsenen Struktur in ein rast- und besinnungslos prosperierendes Touristenzentrum, über die alle Angestellten der lokalen Bootsvermittlungen, Reiseorganisationen, Banken, Hotels, Freßgassen oder Gülets (Touristenboote) beglückt zu sein scheinen.

In Marmaris kann man heute schon den Fluchtpunkt, die Endstation des Massentourismus in der Türkei erleben: eine Hafenpromenade, die stets randvoll mit schaukelnden Ausflugsbooten belegt ist, mit Eisdielen, Ledershops, Souvenirständen, Agenturen für dies und das. Überall suchen kumpelhaft heranschmeißerische junge Männer den Blickkontakt mit dem unsicher durch den pseudotürkischen Jahrmarkt streifenden Gast. Der Einladung zum Tee — dem hier schon zum Busineßritual verkommenen Symbol türkischer Gastfreundschaft — folgt todsicher die mehr oder minder wohlfeile Offerte von Teppichen, Lederwaren oder eines Bootsausflugs. Der Fremde wird zum träge und „Erholung“ suchenden Budget, zum watschelnden Geldsack. Der Einheimische zum Laffen eines tagtäglichen Jahrmarktes.

Die in den Gassen von Marmaris angebotenen Speisen beleidigen mittlerweile nicht nur den türkischen Geldbeutel und Sinn für Anstand, sie beleidigen auch den Gaumen der Türken. Anatolisches Fast food. Man hat dazugelernt: Gutes nur schlechter und teurer machen — dann rollt der Rubel.

Die jungen Männer, die vor drei, vier, fünf Jahren oder erst in diesem Frühjahr im großen Stile in den Städten und Dörfern Kleinasiens für den Tourismus „rekrutiert“ wurden, haben kaum eine andere Wahl. Denn die soliden Berufe, ein Handwerk oder gar eine teure, Jahre dauernde akademische Ausbildung, sie bringen vergleichsweise wenig ein. Ein Oberkellner oder der Leiter eines Restaurants, der „food controller“ in einem gutgehenden Viersterne-Hotel verdient mehr als ein Lehrer in der Türkei, etwa halb soviel wie ein angehender Rechtsanwalt in Ankara. Wozu also den klassischen Weg gehen, wozu der vermeintliche Luxus einer Ausbildung, wenn die jungschnellen Freunde aus dem Dorf schon bald mit den immer gleichen Statussymbolen daheim reüssieren: mit dem Fernseh- und Videogerät, mit deutschen, amerikanischen oder japanischen Markenartikeln, mit dem dunkel lackierten sportlich-dynamischen Auto aus deutschen Werkshallen. Man ist, was man hat. Der VIP-Effekt zählt. Wer sich nicht als Gastarbeiter in Deutschland schinden und hängen lassen mag, um bald das eigene Haus zu bauen, der jobbt in der Zuwachsbranche Nummer eins und geht zur Küste.

Diese Branche ist längst außer Kontrolle geraten. Es zählt der kleine Dienstweg — haarscharf an den Gesetzen entlang. Er kostet je nach „Objekt“ einige hundert DM oder Dollar (das Monatsgehalt eines türkischen Staatsdieners) oder ein kleines Vermögen. Man spricht nicht darüber — man wartet ab, bis man mehr oder minder deutlich gefragt wird und zahlt. Geld findet trotz Auflagen und Gesetzen immer einen Weg. Oder wie sonst konnten aus dem „South Antalya project“ sechzehnstöckige Gebäude werden? Gefragt ist Bares, am besten gleich in „Deutschmark“ oder „Dollars“, dann geht es schneller — bergab.