Den anderen als Person kenntlich machen

Während Ministerpräsident Schamir die Palästinenser als Personen ignorierte, erinnert Abdul Shafi an gemeinsame Leiden  ■ Aus Madrid Antje Bauer

Der Säulensaal des Königspalastes in Madrid war gedrängt voll in diesen Tagen. Hinter den Leitern der Delegationen saßen dichtgedrängt ihre Berater, an den Wänden quetschten sich ausgewählte Journalisten. Doch durch die Reden wurde deutlich, daß noch viel mehr anwesend waren. Hinter Jizchak Schamir saß das alte, auserwählte Volk Israel, seine tausendjährige Vertreibung und der Holocaust, seine Angst vor der Vernichtung. Hinter Haidar Abdul Shafi, dem Führer der palästinensischen Delegation, saßen Jahrzehnte der Unterdrückung, saßen die Intifada und die Angst der Palästinenser, keine Zukunft zu haben.

Bereits in seiner Einleitung wies Schamir darauf hin, daß die Juden auf ihrer zweitausend Jahre währenden Wanderung eine mehrere hundert Jahre dauernde Pause in Spanien eingelegt hatten, bis sie vor 500 Jahren daraus vertrieben wurden. Daß zum gleichen Zeitpunkt auch die Araber das Land verlassen mußten, vergaß der Premierminister zu erwähnen. „Wir sind das einzige Volk, das ohne Unterbrechung fast 4.000 Jahre im Lande Israel gelebt hat“, behauptete Schamir und bekräftigte den Alleinanspruch des Volkes Zion auf Eretz Israel durch Rekurse auf das Alte Testament.

Neben der alleinigen Wahrnehmung der eigenen Notwendigkeiten sprach das Gefühl der existentiellen Bedrohung aus Schamirs Text. „Die Shoah, der Holocaust (...) wurde möglich, weil niemand uns verteidigte. Heimatlos, waren wir auch hilflos“, heißt es gleich am Anfang der Rede. Das Wort „Zerstörung“, bezogen auf Israel, zog sich wie ein roter Faden durch die Rede. „Die arabischen Regimes versuchten, den Staat Israel schon vor seiner Gründung zu überrennen und zu zerstören“, klagte er. Die meisten arabischen Länder versuchten, Israel in eine hilflose Position zu bringen und letztlich zu zerstören. „Ich appelliere an die arabischen Führer (...): Zeigt uns und der Welt, daß ihr Israels Existenz akzeptiert“, forderte Jizchak Schamir.

Es war ein rückwärtsgewandter Diskurs, in dem die Bedrohung Israels durch die Araber eine Fortsetzung der Bedrohung der Juden durch den Holocaust zu sein schien. Es war ein Diskurs, in dem Araber und Israelis nur einmal gemeinsam genannt werden: Es bedürfe der „gegenseitigen Anerkennung“, erklärte Schamir, um bilaterale Gespräche aufzunehmen, denn „der eigentliche Grund für den Konflikt ist die arabische Weigerung, die Legitimität des Staates Israel anzuerkennen“. Neben aller Demagogie und Polemik war Schamirs Rede Ausdruck der lebendigen Erinnerung vieler Israelis an den Holocaust, stand seine Härte für die Erfahrung seiner Generation, sich mit Gewalt wehren zu müssen, um nicht erneut von der Vernichtung bedroht zu werden. Die Worte des syrischen Außenministers Faruk Al- Shara, in ihrer Demagogie Schamirs Rede ebenbürtig, lieferten den Israelis die Berechtigung für ihre Ängste. Die Israelis tauchten in dem Text als kolonialistische Siedler auf, die arabische Gebiete unter dem „Vorwand der Sicherheit“ besetzten. Der „angestammten arabischen Bevölkerung“ steht darin das „Weltjudentum“ gegenüber. Kein Wort über den Holocaust, kein Wort der Anerkennung Israels. So wie bei Schamir die Araber nur als bedrohliche Horden auftauchten, so sind für Al-Shara die Israelis nichts weiter als wildgewordene Aggressoren.

Eine andere Sprache sprach allein Haidar Abdul Shafi, Leiter des palästinensischen Teils der palästinensisch-jordanischen Delegation. Wo Schamirs Rede in die Vergangenheit gerichtet war, bezog sich Abdul Shafi auf die Zukunft. Während in Schamirs Rede die Kinder nur auftauchten, um im Krieg zu sterben, beschwor Abdul Shafi das Entsetzen der Eltern über die Entwicklung der Kinder zu „Instrumenten der blinden, wilden Besatzung“ und das Versprechen auf zukünftige Freiheit. Als wäre es eine direkte Antwort auf Schamirs Ignorieren der Palästinenser als Personen, bat Abdul Shafi, das palästinensische Volk als Realität anzuerkennen, es nicht länger totzuschweigen. Wo Schamir nur von den Juden gesprochen hatte, beschwor Abdul Shafi ein „Wir“. „Mit dem israelischen Volk haben wir einen andauernden Austausch von Schmerz. Laßt uns statt dessen die Hoffnung teilen. (...) Eure Sicherheit und unsere sind voneinander abhängig und ebenso gepaart wie die Ängste und Alpträume unserer Kinder.“ Abdul Shafi verzichtete in seiner Rede weder auf die Rückgewinnung der besetzten Gebiete für einen unabhängigen Staat noch auf Jerusalem als Hauptstadt. Er provozierte die israelische Delegation durch wiederholte Verweise auf die PLO.

Doch anders als Schamir sprach er die Israelis direkt an und akzeptierte sie dadurch als Gesprächspartner, machte sie zu Personen. „Der Besatzer kann keine Geheimnisse vor dem Besetzten verbergen“, sagte er und demonstrierte dadurch ungewohnte Nähe. „Wir müssen den Straßen der Alten Stadt (Jerusalem) den Gesang der Muezzins, das Läuten der Kirchenglocken und die Gebete aller Gläubigen zurückgeben, die in der Stadt des Friedens nach Frieden rufen“, forderte Abdul Shafi zum Schluß. Sein Wort nicht nur in der Israeli, sondern auch in der Syrer Ohr.