Saddam plant harten kurdischen Winter

■ Kurdenführer Talabani warnt vor der beabsichtigten Einstellung sämtlicher staatlicher Dienstleistungen in kurdischen Gebieten/ Möglicherweise auch Erdöl- und Elektrizitätsboykott

Berlin (taz) — Die irakische Regierung hat offenbar beschlossen, aus einigen kurdisch besiedelten Gebieten des Landes sämtliche Staatsangestellten abzuziehen und dort alle staatlichen Dienstleistungen einzustellen. Dies geht aus einem Brief hervor, den der Kurdenführer Jalal Talabani von der „Patriotischen Union Kurdistan“ (PUK) an US-Präsident Bush, den französischen Staatspräsidenten Mitterrand, den britischen Premierminister Major, den deutschen Bundeskanzler Kohl, die UNO und die EG geschrieben hat. In den Kurdengebieten des Iraks, bahne sich „eine menschliche Tragödie von immenser Tragweite“ an, heißt es in einer Mitteilung der „Irakischen Front Kurdistan“, zu der sich während des Golfkrieges die PUK, die von Barzani geführte KDP und weitere kurdische Organisationen zusammengeschlossen hatten.

Bereits am 23. Oktober, so wird nun aus Talabanis Schreiben bekannt, habe das irakische Innenministerium sämtliche öffentlichen Angestellten — Lehrer, Ingenieure, Zivilbeamte — in den kurdischen Distrikten Dihok, Erbil und Süleymanyah angewiesen, ihre Arbeitsstellen zu verlassen und sich nach Bagdad, Mossul oder Kirkuk zu begeben. Wer dieser Anordnung nicht Folge leiste, gehe seines Lohnes verlustig. Die Regierung wolle nicht nur sämtliche Dienstleistungen in den betroffenen Gebieten einstellen, befürchtet der Kurdenführer, sondern beabsichtige möglicherweise auch die kurdische Bevölkerung von Elektrizitäts- und Benzinlieferungen abzuschneiden. Eine Katastrophe angesichts der harten Winterzeiten in den Bergen Kurdistans.

Völlig überraschend begann die Regierung am 28. Oktober, ihre Truppen aus den betroffenen kurdischen Distrikten abzuziehen. Kamal Fuad, Mitglied des Politbüros der PUK und der Führung der „Irakischen Kurdistan-Front“, meinte auf Anfrage der taz, Saddam Hussein wolle offenbar Druck auf die Kurden ausüben, um sie zur Zustimmung zu einer für sie ungünstigen Vereinbarung zu zwingen. Möglicherweise spekuliere er auch auf Unruhen in den kurdischen Gebieten, um diese dann militärisch niederschlagen zu können. Von einer Einstellung staatlicher Dienstleistungen seien ungefähr drei Millionen Kurden betroffen, erläuterte Fuad weiter, etwa eine halbe Million erhielten ihren Lohn oder ihre Pension vom Staat. Die PUK werde aber auf jeden Fall in den betroffenen Gebieten versuchen, selbst eine Verwaltung auf die Beine zu stellen, und sei bereit, alle öffentlichen Angestellten, die sich der Anordnung Bagdads zum Rückzug verweigern, zu unterstützen. Die nötigen Gelder für den Aufbau einer von Bagdad unabhängigen Verwaltung könnten, wie von Talabani in seinem Brief angedeutet, von den gesperrten Auslandskonten des Irak abgezogen werden. thos