Heute in Bremen: Lew Kopelew

Wer ihn einmal gesehen hat, wird seine würdevolle Gestalt nicht vergessen. Wer ihn gehört hat, weiß, wie klar und ausdrucksvoll die deutsche Sprache sein kann. Lew Kopelew, 1912 in Kiew geboren, ist einer jener großen alten Männer, fundiert durch Moralität und beflügelt durch Anteilnahme. Er ist nicht nur ein bedeutender Kenner und Wissenschaftler, sondern auch, wie viele Russen, ein leidenschaftlicher Liebhaber der Literatur. Er studierte Germanistik in Charkow und Moskau, war während des 2. Weltkrieges Propaganda-Offizier der Roten Armee; im letzten Kriegsmonat wurde er verhaftet und für fast 10 Jahre ins Lager gesteckt. Grund: Mitleid mit dem Feind im damaligen Ostpreußen.

Seit 1973 sind zahlreiche seiner autobiographischen und literaturwissenschaftlichen Bücher in Deutschland veröffentlicht worden. 1981 wurde Kopelew als Oppositioneller ausgebürgert. In der BRD initiierte er das Wuppertaler Forschungsprojekt „Westöstliche Spiegelungen“, das sich mit dem Verhältnis von Russen und Deutschen befaßt. Inzwischen lebt er wieder in Moskau.

Kopelew wird heute um 20 Uhr auf Einladung der Wittheit in der Kunsthalle unter dem Titel „Faust in Rußland“ nicht nur über „die Wirkung Goethes in Rußland“ sprechen, sondern auch über die Transformation des „faustischen“ deutschen Mythos der Neuzeit in die Welt Puschkins, Pasternaks und Bulgakows. P.B.