Eine Bovary aus Brandenburg

■ Sabine Kebir liest aus ihrem neuen Roman

Im Jahr 1987 erregte Sabine Kebir Aufsehen mit einem Buch über den heiligen Mann des Ostens, Bertolt Brecht, Ein akzeptabler Mann? — Streit um Brechts Partnerbeziehungen. Sie setzte sich in ihren essayistischen Betrachtungen mit allen Urteilen und Vorurteilen über den Dichter und Damenliebhaber auseinander, der mit den »Frauen ebenso lax umgegangen ist wie mit dem geistigen Eigentum anderer«, und kommt für sich selbst zu überraschenden neuen Interpretationen seiner Arbeit und seiner Verhältnisse zu Frauen.

Auch wenn es viele Dramen und viel Kummer in seinen Beziehungen gab, waren sie für Sabine Kebir doch geprägt von Ebenbürtigkeit und Autonomie. Nicht nur in der damaligen DDR galt ihr Buch als polemisch interessanter Beitrag zur Brecht-Rezeption, sondern darüber hinaus auch zum immer wieder beliebten »Mann-Frau-Dialog«. Nun hat die promovierte Geisteswissenschaftlerin, die zehn Jahre in Nordafrika lebte und seit 1988 wieder in Berlin, ein neues Buch geschrieben, einen Roman über ein junges Mädchen, welches in einer brandenburgischen Kleinstadt aufwächst, von der Liebe und der großen weiten Welt, von Frankreich träumt. Wenn der ganze Roman so einfach und komisch, so still und unpretentiös geschrieben ist, wie die paar Textauszüge, die »Begine« uns zukommen ließ, verspricht der heutige Leseabend ein selten kurzweiliges Leseabendvergnügen.

Eines Tages kommt in das DDR- Städtchen eine französische Kommunistengruppe, die gerne » die Praxis eines vom Standpunkt des wissenschaftlichen Kommunismus regierten Landes« kennenlernen wollten. Rosemarie hatte schon seit Tagen, unter schwierigsten Umständen, versucht, französisch zu lernen — für sie der Inbegriff von Weltläufigkeit und Eleganz. Einen Satz kriegt sie bis zur Ankunft der Reisegruppe zustande: »Ich begrüße sie im Namen meiner Stadt und im Namen des Friedens«. Die Franzosen waren beeindruckt. Nicht nur von dem Satz, sondern überhaupt. Sie wollten vor allen Dingen die Ergebnisse der staatlichen Kollektivierung landwirtschaftlicher Betriebe studieren: »Ich staunte immer mehr. Einerseits wurde mir schlagartig bewußt, wie stümperhaft mein eigenes Französisch noch war, zum andern wurden mir die Franzosen immer sympathischer.

In der Tat hatte das Westfernsehn für die Kollektivierung nur Verachtung übrig. Und selbst hier in Reinsbach war man sich nicht immer ganz sicher gewesen, ob sie einen Sinn hatte oder nicht. Konnte denn ein Sinn darin liegen, jahrelang ohne Schlagsahne, mit rationierter Wurst und Butter zu leben, wenn die Einzelbauern das alles in genügender Menge hatten herstellen können? Und nun kamen diese Leute aus dem fernen Frankreich wie zu einer Pilgerfahrt daher, um unser Experiment als eine Art Wunder zu besichtigen!«

Aber wie es so ist — die Franzosen sind von Maschinenparks und Werksführungen nur mäßig beeindruckt. Zur Verwunderung der deutschen Sozialisten sind sie noch mehr an den einheimischen Kirchen interessiert, und auch dem Essen sprachen sie nur mäßig zu, »obwohl die Koteletts sogar mit Champignons dekoriert waren«.

Dennoch ist Rosemarie weiterhin davon überzeugt, daß es in Frankreich zu und zu schön sein muß. Um wenigstens eine Aufenthaltsgenehmigung für ein nordafrikanisches Land zu bekommen, heiratet sie Bodo, der eine Stelle als Dolmetscher angeboten bekommt... zuc

Lesung heute abend, 20 Uhr im Frauencafé Begine, Potsdamer Straße 139