Die RAF im Bielefelder Jugendzentrum?

In Bielefeld werden einem der ältesten selbstverwalteten Jugendzentren jetzt die öffentlichen Gelder gesperrt Das Arbeiterjugendzentrum AJZ wird in der Öffentlichkeit der Symphatie mit der Roten Armee Fraktion verdächtigt  ■ Aus Bielefeld B. Markmeyer

Das Bielefelder AJZ (Arbeiterjugendzentrum) ist der Bürgerschreck schlechthin. Kein anderer Ort in der ostwestfälischen Durchschnittsstadt am Teutoburger Wald verkörpert so ausdauernd das Andersseinwollen, an keinem anderen Ort sind die Graffiti so grell und die Autonomen so zahlreich, nirgendwo sonst ist der Ton so frech, sind die Punks so betrunken, die Konzerte so schweißtreibend und der Pogo so perfekt wie im AJZ. „Friede den Hütten — Krieg den Palästen“, verkündet das AJZ den Eigenheim-Bürgern von der hellen Seitenwand des dreigeschossigen Hauses herab und veralbert sie gleich darunter mit „Freiheit für Knödel“. Über allem prangt der schwarze, fünfzackige Stern. Fast 18 Jahre ist das selbstverwaltete Jugendzentrum jetzt alt, das 1973 mit einer Hausbesetzung anfing. Ebenso lange haben die Konservativen in der Stadt versucht, es kleinzukriegen. Jetzt dürften sie Erfolg haben, nicht zuletzt, weil das AJZ ihnen wenig entgegensetzte.

Das rechte Bielefelder 'Westfalen-Blatt‘ (WB) machte am 22. Juli dieses Jahres aus einer von den Grünen angemeldeten Demo für die Zusammenlegung politischer Gefangener eine vom AJZ ausgehende Demo mit „130 RAF-Sympathisanten“. Die AJZlerInnen taten den Bericht als eine der üblichen Kampagnen gegen ihr Haus ab. Zwei weitere Berichte jedoch wogen schwerer: Fünf Tage später meldete das Blatt, im „Infoladen Anschlag“ im AJZ sei das Buch Die Rote Zora verkauft worden, das, so der Bielefelder Polizeipräsident, „interessierten Frauen die Regeln der ,Konspirativität‘ beibringt, Anleitungen zur Überwindung von Schlössern und Alarmanlagen, dem Umgang mit Zeitzündern und zum Herstellen von Brandsätzen“ gebe. Der Generalstaatsanwalt in Düsseldorf ermittelt wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung „gegen Unbekannt“, so der Sprecher der Behörde. Gegen eine Frau ermitteln die Fahnder in einem weiteren Fall: Wenige Tage nach dem Mord an Treuhand-Chef Rohwedder in Düsseldorf soll sie im Kinosaal des AJZ Kopien des Bekennerschreibens verteilt haben.

Stadt Bielefeld stoppt Unterstützung

Für den regierenden Bielefelder Bürgerblock war der Fall sofort klar: Das AJZ sei mit RAF-Aktivitäten gleichzusetzen. Die Stadt Bielefeld sperrte die noch offenen Zuschüsse für den Rest dieses Jahres, der Düsseldorfer Sozialminister den Landeszuschuß. Anfang November will das Bielefelder Rechtsamt per Gutachten feststellen lassen, ob dem AJZ die Förderungswürdigkeit nach dem Jugendwohlfahrtsgesetz aberkannt werden kann. Von Stadt und Land aufgefordert, zu den Vorfällen Stellung zu nehmen und „sich von den Straftaten der RAF zu distanzieren“, reagierte der AJZ-Verein als Träger des Jugendzentrums ausweichend und spielte auf Zeit.

Der Infoladen Anschlag sei ein eigenständiger Verein, der mit dem AJZ-Verein lediglich einen Mietvertrag abgeschlossen habe. Folglich habe der AJZ-Verein das Buch Die Rote Zora „niemals vertrieben, nicht zum Kauf des Buches aufgerufen und den Inhalt befürwortet“. Sie würden, so die AJZlerInnen weiter, aber „auch keinen Menschen aus dem Haus weisen, der dieses Buch gelesen hat oder für diskussionswürdig hält“. Solche Auseinandersetzungen zu kontrollieren oder einzuschränken führe „sehr schnell zu einer Verfestigung“ extremer Standpunkte. Das waren bedenkenswerte Anmerkungen zur Jugendarbeit, aber keine Stellungnahme. Hausintern war umstritten, ob man zu den Vorfällen und möglicher Verantwortung des Jugendzentrum-Vereins überhaupt Stellung nehmen sollte. In Sachen Rohwedder-Bekennerschreiben erklärte der AJZ-Verein, von dessen Verteilung erst aus der Presse erfahren zu haben, und verweigerte Erklärungen mit Hinweis auf die laufenden Ermittlungen. „Gegen Vorstandsmitglieder des Vereins“, sagt dazu jedoch der Sprecher der Düsseldorfer Generalstaatsanwaltschaft, werde „in diesem Fall gar nicht ermittelt“.

Gleichwohl haben 'WB‘ und die konservative Bielefelder Öffentlichkeit unterdessen das Arbeiterjugendzentrum in einer regelrechten Kampagne zum „Sympathisantensumpf“ hochgespielt. Nur die Grünen und einige Stimmen aus dem alternativen Spektrum erinnern daran, daß das AJZ nach wie vor zu den bestbesuchten Jugendzentren der Stadt zählt, die dortigen Konzerte Publikum von weither anziehen und die Arbeit mit sogenannten schwierigen oder besonders unangepaßten Jugendlichen nicht unterschätzt werden darf. Die SPD hingegen — bei früheren, nicht eben seltenen Konflikten aus eben diesen Gründen meist auf seiten des AJZ — setzt noch eins drauf, erbost über die hinhaltende Taktik der AJZlerInnen. „Unabhängig von den Ergebnissen des Rechtsgutachtens und den Erkenntnissen der staatsanwaltlichen Ermittlungen“ verlangen die GenossInnen nun „eine klare und eindeutige Distanzierung zum Infoladen Anschlag“ und die Kündigung des Mietverhältnisses zwischen diesem und dem AJZ.

AJZ kämpft ums Überleben

Damit ist das Band durchschnitten. Die AJZlerInnen reagierten prompt. Es sei beim Vorstand des Vereins und in der Hausversammlung „Konsens, daß keine Distanzierung erfolgt und der Mietvertrag nicht gekündigt wird“, erklärt Sozialarbeiter Matthias Grünewald. Das AJZ will nun versuchen, mit wenig Personal und ohne die jährlichen knapp 300.000 Mark an Zuschüssen von Stadt und Land über die Runden zu kommen, was schwierig werden dürfte. Zwar kaufte der Jugendzentrum-Verein bereits 1978 das Haus an der Heeper Straße, in dem sich außer Kneipe, Gruppenräumen und Werkstätten auch eine Druckerei und ein Verlag befinden, doch müssen noch 64.000 Mark abbezahlt werden, 2.400 pro Monat.

Folgt man ihrem Vorsitzenden Rainer Wendt, hat die Bielefelder SPD dem AJZ den Rücken gekehrt, weil sie dort „keine Bereitschaft“ gespürt habe, „einen klaren Trennungsstrich zu Mord und Totschlag und der Befürwortung von Mord und Totschlag zu ziehen“. Keinesfalls habe man „die Jugendarbeit kaputtmachen“ wollen. Doch genau die wurde getroffen. Und schon schwant den GenossInnen, daß, falls das AJZ aufgeben müßte, jene Jugendlichen, die mit den übrigen Jugendzentren der Stadt nichts anfangen können, ja nicht einfach verschwinden würden. Wendt: „Dann würden sich die Probleme verschärfen.“ Welche Antworten die Law-and-Order-Mehrheit auf solche Probleme parat hat, hat sie gerade gezeigt. Mit der finanziellen Austrocknung des AJZ löste der CDU-FDP- und Oetker-Block ein Wahlkampfversprechen ein. Die oppositionelle SPD und auch das AJZ selbst haben es den Konservativen nicht allzu schwer gemacht.