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Ein Mann ist ein Mann ist ein Mann ist ein Mann

■ »Der Herr Karl« in der Schiller-Werkstatt

Der Herr Karl von Helmut Qualtinger ist der bitterböse Lebensbericht eines kleinen Wiener Angestellten in der Ich- Form.

Dieser Herr Karl beinhaltet alle schlechten Eigenschaften des Spießers — wie Opportunismus, Verlogenheit, Schmarotzertum und Feigheit. Aber er kommt gut durch. Er erzählt von der Zeit vor dem Krieg, wo das Leben auch nicht gerade leichter war, die Frauen aber willig, und man sich halt so durchschlug. Dann kam der Krieg, und der Herr Karl hat natürlich auch gejubelt, als der Führer kam, schon allein wegen des Gefühls der Zusammengehörigkeit in der Masse. Und dann mußte man sich natürlich mit den Umständen arrangieren, und der Herr Karl wechselt vom Sozi zum Nazi. Und da er auch ein Heim brauchte, zog er eben bei einer frischgebackenen Witwe ein, ließ sich von ihr aushalten und heiratete sie schließlich, der Ordnung wegen. Als sie sich über seine Faulheit mokierte, packte er seine Sachen und ging. Er arbeitete beim Sparverein, dann beim Sterbeverein — und wurde schließlich Blockwart, wo er zusehen mußte, wie es den Juden erging. Aber der Herr Karl war natürlich kein Nazi — auch er war nur ein Opfer.

So suchte er auch seine zweite Frau streng nach den Gegebenheiten eines warmen Zuhauses aus, mußte dann nur leider feststellen, daß sie sich als Prostituierte verkaufte. Mit der Drohung, sie anzuzeigen, bringt er sie zur schnellen Abreise — wobei er natürlich darauf achtete, daß sie alles, was Wert hatte, bei ihm ließ.

Als der Krieg zu Ende ist, zeigt der Herr Karl, wie flexibel er ist, denn er arbeitet erst für die Russen und dann für die Amerikaner. Letztendlich arbeitet er als Ballonverkäufer, bis er wieder eine Frau kennenlernt, die für ihn sorgt, während er sich mit Büchern über Stellungen beim Geschlechtsverkehr die Zeit vertreibt. Doch als sie krank wird und nicht mehr arbeiten kann, ist für Herrn Karl Zeit zu gehen. Er reist ein bißchen, wobei er feststellt, daß es zu Hause sowieso am schönsten ist. Er kann ruhig in die Zukunft blicken, denn irgendwie geht es immer weiter.

In der Werkstatt des Schiller-Theaters sitzen die Zuschauer dort, wo sonst die Bühne ist, an den Caféhaustischen und können sich an der integrierten Bar mit Getränken versorgen. So zerstört dieser von Ariane Klunker geschmackvoll eingerichtete Raum auf angenehme Weise das Gefühl eines Theaterbesuchs. Und auch später, wenn der Herr Karl bei fast hellem Saallicht durch die Zuschauer streift, ergibt sich keine Atmosphäre des ernsten Lauschens und Schweigens, wie man sie sonst gewöhnt ist, und das ist auch gut so.

Der Herr Karl wird gespielt von Oliver Stern, und er macht seine Sache gut.

Mit österreichischem Akzent, den er aber verläßt, um komplizierte Wortbedeutungen einzudeutschen, spielt er dieses liebenswerte Arschloch absolut glaubhaft. Immer wieder bricht er die Illusion des Theaterspiels, etwa wenn er sich ein Programmheft bei einem Zuschauer entleiht, um zu sehen, wie sein weiterer Text lautet, oder wenn er den Rest einer Schnapsflasche oder Schokolade an die Gäste verteilt. Er wirkt sicher in dieser Person, die ein Schlag ins Gesicht für jeden patriotischen Österreicher ist. So kann er auch noch die größten Schweinereien als eine ihm immanente sympathische Eigenart verkaufen aufgrund seines Charmes.

Er ist ein Monster, dieser Herr Karl, aber eines, das man lieben muß; denn Oliver Stern weiß mit Mimik und Gestik so sparsam und gekonnt umzugehen, daß es eine Freude ist, ihm zuzusehen. Nach der stark österreichisch gefärbten Ära Sasse wirkt diese Aufführung, die nur knapp über eine Stunde dauert, wie ein verspäteter Degenstich. Doch dieses wunderbar komische Stück ohne Längen oder Langeweile ist ein Bonbon im Vergleich zum sonstigen Angebot des Schiller-Theaters. York Reich

Heute 20 Uhr, Schiller-Theater- Werkstatt, Bismarckstraße 110

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