Voller Streikerfolg in Südafrika

Die Städte sind verlassen, die Regierung schimpft über „Sabotage“/ Amtliche Streikkostenrechnung kritisiert  ■ Aus Johannesburg Hans Brandt

Auch am zweiten und letzten Tag des Generalstreiks gegen die Einführung der Mehrwertsteuer blieben in Südafrika mehr als drei Millionen vorwiegend schwarze Arbeiter zu Hause. Jay Naidoo, Generalsekretär des Gewerkschaftsdachverbandes „Cosatu“, unter dessen Leitung der Streik stattfand, nannte die Aktion „ein starkes Signal an die Regierung, daß die Bevölkerung die Mehrwertsteuer ablehnt“. Ein Sprecher der regierenden Nationalen Partei (NP) warf Cosatu dagegen „absichtliche Sabotage der Wirtschaft“ vor. Staatspräsident Frederick De Klerk nannte den Streik ungerechtfertigt und unnötig.

Vor allem in den Ballungsgebieten waren auch gestern die Städte sonntäglich verlassen, Züge und Busse leer und viele Geschäfte geschlossen. Im schwarzen Wohngebiet Daveyton bei Johannesburg wurde ein Demonstrant von der Polizei erschossen, die ihn nach eigenen Angaben zu entwaffnen versucht hatte. Augenzeugen behaupten jedoch, die Polizei habe ohne Provokation das Feuer eröffnet.

Zwei Bomben in der Nähe von Kapstadt und bei Johannesburg beschädigten Bahnlinien. Sonst blieb der zweite Streiktag weitgehend friedlich. Nur sehr vereinzelt wurde von „Einschüchterungsversuchen“ berichtet.

Dieser größte Generalstreik in der südafrikanischen Geschichte war eine beeindruckende Machtdemonstration der Anti-Apartheid-Opposition. Zweifellos hat das damit zu tun, daß die arme Bevölkerungsmehrheit die Auswirkung der am 1. Oktober eingeführten zehnprozentigen Steuer bereits in erhöhten Lebenshaltungskosten gespürt hat. Für eine rein politische Forderung würden wohl nicht soviele Menschen streiken. Aber die Regierung und Wirtschaftsverbände hatten letzte Woche vorausgesagt, daß der Streik nicht erfolgreich sein und zu weitverbreiteter Gewalt führen werde. Beides hat sich nicht bestätigt.

Anfängliche Warnungen der Regierung, der Streik würde die Wirtschaft 2,5 Milliarden Rand (etwa 1,5 Milliarden Mark) kosten, wurden gestern von Ökonomen kritisiert. Unabhängige Schätzungen gehen davon aus, daß Produktionsverluste schnell aufgeholt werden können, da die meisten Fabriken aufgrund der andauernden Rezession ohnehin nicht ausgelastet sind. Die Kosten würden deshalb weit unter einer Milliarde Rand liegen.

De Klerk will am Donnerstag ausführlich zu dem Streik Stellung nehmen. Bisher hat die Regierung die Forderungen von Cosatu nach einer Abschaffung der Mehrwertsteuer auf Grundnahrungsmittel, Strom, Wasser, Medikamente und medizinische Versorgung abgelehnt. Auch dem Druck der Opposition, die Wirtschaftspolitik in einem gemeinsamen Verhandlungsforum zu bestimmen, will die Regierung nicht nachgeben.