Was tun gegen „voodoo economics“?

USA: Wahlkampfpolitik statt Wirtschaftsprogramm, Steuererleichterungen statt Strukturreformen  ■ Aus Washington Rolf Paasch

Wohl selten zuvor hat ein US-Präsident zu Beginn eines Wahlkampfes so ratlos vor der darniederliegenden Volkswirtschaft gestanden wie in diesen Tagen George Bush. Der Mann, der Ronald Reagans Wirtschaftspolitik 1980 herablassend als „voodoo economics“ bezeichnete, scheint nun für die Sünden seines Vorgängers den politischen Preis entrichten zu müssen. Genau ein Jahr vor den Präsidentschaftswahlen verweigert ihm die Wirtschaft jenes Wachstum, das noch für jeden US- Präsidenten von Franklin Roosevelt über John F. Kennedy bis zu Ronald Reagan das Sprungbrett zum Wahlsieg gewesen ist. Gegen Kaufkraftverlust oder Arbeitslosigkeit werden selbst die Abrüstungserfolge und Saddam Hussein zu abstrakten Größen.

Zwar kann sich George Bush heute bei einer Anerkennungsrate von 55 Prozent einer für einen Präsidenten im dritten Amtsjahr beeindruckenden Popularität erfreuen. Doch dahinter wachsen die Zweifel in der Wählerschaft. Zwei Drittel der Bürger glauben wieder — wie vor dem Golfkrieg übrigens —, daß sich ihr Land „auf dem falschen Gleis befindet“. Genauso viele zweifeln an George Bushs ökonomischer Kompetenz. „Wir haben eine Wirtschaftspolitik für die Sowjetunion, den Irak und Haiti“, so die immer populärere Kritik seiner politischen Gegner, „aber nicht für Massachusetts, Indiana oder Idaho.“

Seitdem Weltenbummler George bei seinen letzten Stipvisiten in Amerika vom schlechten Zustand der heimischen Ökonomie gehört hatte, trifft er sich immer häufiger mit seinem Wirtschaftsrat im Weißen Haus. Doch der Rat seiner Wirtschaftsweisen ist wenig hilfreich und oft widersprüchlich. Die einen wollen, daß Bush endlich die Senkung der Kapitalertragssteuer durchsetzt, die er im letzten Jahr dem fünfjährigen Budgetabkommen mit den Demokraten geopfert hatte, die anderen fürchten, in diesem Fall von den Demokraten im Wahlkampf als „Partei der Reichen“ gebrandmarkt zu werden. Sie sind eher für eine Neuverhandlung des Budgetabkommens, um so eine größere Umverteilung in den zukünftigen Haushalten zu ermöglichen: zum Beispiel den Einsatz von Geldern aus dem Verteidigungshaushalt für Steuererleichterungen oder Investitionsanreize. Dies, so argumentieren wieder andere, würde nur weiteren Ausgabenerhöhungen durch die Demokraten wieder Tür und Tor öffnen.

Klar ist bisher nur, daß die bisherigen Maßnahmen zur Ankurbelung der Wirtschaft — Krediterleichterungen für Banken und langsame Zinssenkung — kaum geholfen haben. Die Banken scheuen nach ihren katastrophalen Erfahrungen auf dem zusammengebrochenen Immobilienmarkt jeden riskanten Kredit wie der Teufel das Weihwasser. Höchst fraglich also, ob eine weitere Diskontzinssenkung der Notenbank unter die derzeitigen fünf Prozent daran etwas ändern würde.

Die Unternehmen nutzen die Rezession zur Gesundschrumpfung aus und versuchen ihren Schuldenberg aus den junk-bond-finanzierten 80er Jahren erst einmal auf ein erträgliches Maß abzutragen, ehe sie wieder investieren. Und die Konsumenten, die mit ihren shopping trips immerhin für zwei Drittel aller Ausgaben verantwortlich sind, leiden unter dem schleichenden Kaufkraftverlust, steigender Arbeitslosigkeit (gegenwärtig 6,8 Prozent), ihrer eigenen Überschuldung — und einem grundsätzlichen Mangel an Vertrauen in die Wirtschaft. Kurzum, wer den Autokauf noch einmal um ein Jahr verschieben kann, der tut dies.

Mit vorsichtigen fiskalischen und monetären Anreizen im Rahmen des laissez faire ist hier nichts mehr getan. Nötig wäre ein keynesianisches Mammutprogramm zur Verbesserung der Infrastruktur mit massiven Investitionen im Gesundheits- und Erziehungswesen. Doch dies glaubt sich Amerika bei einem Budgetdefizit von 350 Mrd. Dollar im Haushalt 1991 nicht mehr leisten zu können. Denn statt mit einer Rücklage, war die US-Volkswirtschaft nach acht Jahren des künstlich entfachten Reagan-Booms mit einem verdreifachten Haushaltsdefizit in die gegenwärtige Rezession geschliddert, aus der nun keiner einen Ausweg weiß.

Selbst linke Demokraten wagen nicht, darauf hinzuweisen, daß nicht die Größe (derzeit 4,5 Prozent des Bruttosozialprodukts), sondern die bisherige Verwendung dieses Defizits — nämlich für die Erhaltung der Kaufkraft und nicht für neue Investitionen — das eigentliche Problem darstellen. In ihrer allgemeinen Ratlosigkeit verfallen Regierung wie Opposition wieder einmal der Attraktivität vordergründiger und politisch opportuner Lösungen. Seit Wochen überbieten sich Republikaner und Demokraten gegenseitig mit Vorschlägen zur weiteren Steuererleichterung, einem beliebten Spiel in jedem Wahlkampf. Welcher Kompromiß hier zwischen einer Senkung der Kapitalertragssteuer und bei der Besteuerung der middle class am Ende herauskommen wird — eine kohärente Strategie zur Strukturreform der US-Wirtschaft wird es mit Sicherheit nicht sein.