Nato uneinig über Abrüstung

Beim Gipfel in Rom droht Rückfall hinter den ersten Vertrag über die Verringerung konventioneller Waffen (VKSE)/ Bonn will neue Verträge — Paris, London und Washington blockieren  ■ Aus Rom Andreas Zumach

Über konventionelle Abrüstung besteht unter den sechzehn Nato-Staaten keine Einigkeit. Die deutsche Bundesregierung konnte sich mit ihren konkreten Vorschlägen für den heute in Rom beginnenden zweitägigen Nato-Gipfel nicht durchsetzen. In den beiden Gipfelerklärungen, die heute und morgen veröffentlicht werden sollen, sind nur sehr allgemeine, unverbindliche Aussagen zu diesem Thema enthalten. Zunehmend ungewiß ist sogar, ob der erste „Vertrag über konventionelle Streitkräfte in Europa“ (VKSE) in der vereinbarten Form umgesetzt wird.

Das Abkommen wurde vor genau einem Jahr anläßlich des Pariser KSZE-Gipfels von den 22 Mitgliedsstaaten der Nato und der Warschauer Vertragsorganisation (WVO) unterzeichnet. Bislang haben aber erst vier Unterzeichnerstaaten den Vertrag ratifiziert: Kanada, Dänemark, Ungarn und die CSFR. In zahlreichen Staaten ist der Ratifizierungsprozeß noch überhaupt nicht oder gerade erst auf Ebene von Parlamentsausschüssen (zum Beispiel USA, BRD) angelaufen. Ermahnungen westlicher Politiker, das Abkommen zu ratifizieren, werden allerdings ausschließlich an die Adresse Moskaus gerichtet.

In die Vorberatungen zum Nato- Gipfel hatte Bonn Vorschläge für baldige Verhandlungen über ein VKSE-Nachfolgeabkommen eingebracht (genannt „VKSE1a“). Sie zielen vor allem auf die weitere Reduzierung der bereits im ersten KSE- Vertrag erfaßten Waffenkategorien sowie auf die Verringerung von Personalstärken der Streitkräfte ab. An einer vertraglich vereinbarten Reduzierung der Soldatenzahlen hat Bonn auch deshalb besonderes Interesse, weil die Bundesrepublik sich — als Zugeständnis an Moskau im Rahmen der Vier-plus-zwei-Verhandlungen über die deutsche Einheit — als bislang einziger Staat in Europa zu einer Truppenverringerung verpflichten mußte.

Die Aufnahme von Folgeverhandlungen über diese Themen bereits in der ersten Hälfte 1991 — und zwar im Rahmen aller KSZE-Staaten— war im Prinzip bereits bei Unterzeichnung des ersten KSE-Vertrages vereinbart worden. Doch vor allem die beiden Hauptpartner und zugleich Hauptkonkurrenten der BRD in Westeuropa, Frankreich und Großbritannien, sowie die USA blockieren seitdem die Formulierung eines konkreten Verhandlungsmandates der Nato-Staaten sowie diesbezügliche Fortschritte bei den Wiener Beratungen der inzwischen 38 KSZE-Staaten.

Die Regierungen in Paris und London ziehen unilaterale Entscheidungen über die Verringerung konventioneller Streitkräfte vor. Diese Entscheidungen — so wird in Bonn kritisiert — wären jedoch nicht überprüfbar sowie völkerrechtlich nicht verbindlich und jederzeit revidierbar.

Frankreich geht inzwischen einen Schritt weiter und stellt sogar die Ratifizierung des ersten KSE-Abkommens in Frage. Im KSE-Vertrag wird die Gesamtregion zwischen Atlantik und Ural in zahlreiche Zonen aufgeteilt, für die genau quantifizierte Abrüstungsschritte und künftige Obergrenzen für konventionelle Waffen festgelegt sind. Mit dem Zerfall der Sowjetunion — die laut Vertrag am meisten abrüsten muß — sei die Grundlage dieser Regelung entfallen, argumentiert Paris. Angesichts dieser Haltung und der gleichzeitigen neuen Aufrüstungstendenzen in osteuropäischen Staaten und einigen bisherigen sowjetischen Republiken droht die Gefahr eines Rückfalls hinter das mit dem KSE-Vertrag und dem KSZE-Gipfel Erreichte.