LSD-Paranoia in Halle

Berlin (taz) — „Rauschgift auf Schulhof verteilt“ titelte 'Bild‘ (Ost) letzten Dienstag — LSD getränkte Abziehbilder sollen auf acht Schulhöfen in Halle verteilt worden sein. Tatsächlich handelte es sich um Flugblätter mit Aufrufen zur Abschaffung der Schulpflicht — von Drogen keine Spur.

„In den meisten westeuropäischen Ländern gibt es überhaupt keine Schulpflicht. Dadurch ist es gesetzlich möglich, eigenständige Alternativen für Leben und Lernen mit Kindern zu machen... Wir suchen Leute, die mit uns ein Netzwerk ,Freiwillige Schule‘ aufbauen.“ So heißt es in einem Flugblatt der Initiative Antipädagogischer Arbeitskreis Freiwillige Schule, das in verschiedenen Schulen in Halle verteilt wurde. Zusammen mit einem Aufkleber, auf dem Donald Ducks Enkel für eine Info- Veranstaltung warben.

Diese Veranstaltung, in einem besetzten Haus in der Hallenser Kellnerstraße, wurde am 1.11. von der Polizei gestürmt und sämtliche Teilnehmer sowie die Hausbewohner „zur Aufklärung eines Sachverhalts“ aufs Polizeirevier verbracht. Zwei Mitglieder der Initiativgruppe wurden erkennungsdienstlich dort behandelt — nach Angaben der Polizei hätte eine chemische Voruntersuchung ergeben, daß sich auf der Klebfläche der Flugblätter LSD befände. In der Angabe des Polizeisprechers heißt es schon relativierend „LSD oder ein ähnlich wirkender Stoff“ — die Initiative Freiwillige Schule ist indessen sicher, daß es sich nur um ganz normales Klebepapier der Marke „Interfix“ handelt, das über den Papiergroßhandel bezogen wurde. Die unverhältnismäßige Vorgehensweise der Polizei, die die Anti-Schulpflicht-Veranstaltung mit großem Aufgebot stürmte, paßt für die Betroffenen ins Bild: Rundumschläge gegen demokratische Initiativen seien in Halle an der Tagesordnung. Dahinter steckt nach Meinung der Jugendlichen die unsichere Lage der Polizeibeamten, die um ihren Job fürchteten und sich deshalb auch mit illegalen Mitteln zu profilieren suchen. Der Arbeitskreis Antipädagogik hat Strafanzeige gegen die verantwortlichen Beamten gestellt und verlangt eine öffentliche Richtigstellung und Entschuldigung für die Polizeiaktion.

Tatsächlich scheint die drogen- unkundige Polizei in Halle bei ihrem Kampf gegen aufmüpfige Schüler einiges verwechselt zu haben: Daß LSD auf winzigen Löschpapierchen angeboten wird, die manchmal mit Disney-Motiven bedruckt sind, ist eine durchaus übliche Praxis. Fast postkartengroße Aufkleber, wie sie in Halle verteilt wurden, können dagegen jedem halbwegs informierten Rauschgiftbeamten nur zum Lachen, nicht aber zum Einschreiten reizen. Um die Initiative gegen den Schulzwang in Verruf zu bringen, hat die Anti-Drogen-Aktion der hallischen Polizei mit der Titel-Story der 'Bild- Zeitung‘ freilich ihren Zweck schon erfüllt.

Info-Telefon der „Initiative Freiwillige Schule“: 030/611 41 52