„Berlin, Brooklyn und zurück“

■ Eine Radioerzählung von Holly J. Rahlens, 10.11., SFB 3, 12.00 Uhr

Holly J. Ralens kann lügen wie gedruckt! Denn Geschichten erfinden liegt der New Yorkerin im Blut. Sie plaudert so, wie ihr der Schnabel gewachsen ist. Und dennoch hat ihre chaotische Erzählmontage Methode. Holly Rahlens bildet Alltagsszenen ab, wie sie sie persönlich sieht. Zwar schätzt sie jene Leute, die immer zur rechten Zeit den passenden Spruch auf den Lippen haben — sie selbst jedoch bleibt ihrer Begabung treu, Geschichten über nichts, über Banalitäten aus dem Hut zu zaubern. Sie schreibt nicht irgendwo ab, sondern beobachtet und belauscht die Umwelt.

Dann montiert sie mit Pepp und Witz, mit Sarkasmus und einem Schuß Selbstironie ihre ureigene Version der Wirklichkeit. Amüsant und hintergründig bilden ihre „true stories“ nun eine Trilogie.

Bevor sie nun in dem dritten Teil Berlin, Brooklyn und zurück die Stätten ihrer Vergangenheit besucht, hat sie schon vieles hinter sich gebracht. Als alles anfing, lebt Holly „im Hinterhof von letzte Ausfahrt Brooklyn“. Dort, wo in den Sechzigern die Bandenkriege toben. „Schwarze gegen Spanier, die Puertorikaner gegen Italiener und alle zusammen gegen die Juden. Ganz wie in der Westside-Story — nur daß niemand tanzte“, sagt sie. Hier lernte die Autorin eine wichtige Lektion fürs Leben: sich zu verteidigen. Hollys Eltern wollten raus aus diesem Slum und nach oben. Schritt für Schritt, Job für Job und Umzug für Umzug. Mit dem geübten Blick einer Schwindlerin, so die Autorin über sich selbst, verfolgte Holly diesen familiären Aufstieg. Ein dramatischer Szenenwechsel hier, die erfundene Schwester dort, das Wetter immer passend zur jeweiligen Alltagstristesse, so stückelt sie das Ergebnis der Erinnerung zusammen.

Auch der zweite Stadtteil Far Rockaway barg seine Tücken — ein Glück für die blühende Fantasie der kleinen Holly. So hängen Holly und ihr „Alter Ego“, die erfundene Schwester Judy, abends am Fenster und spinnen Geschichten. Über gefangene Gangster in düsteren Zellen. Dazu pfeift der Wind ganz atmosphärisch kalt.

Schnitt. Die Eltern haben es „geschafft“: Wir landen mit der Heldin in einer jener New Yorker Gegenden, in denen „70 Prozent der Bevölkerung jüdisch ist, 90 Prozent weiß und 105 Prozent frustriert“. Holly sitzt mittendrin unter den Mächtigen, den Schönen und Reichen. In diesem Paradies der Kaschmirpullis, Mozart-Etüden und Europa-Trips lernt sie, „die Leute zum Lachen zu bringen“. Um dieses Talent zu verfeinern und flächendeckend unter die Leute zu bringen, studiert sie Schauspiel und Regie. Nun ist sie 19 Jahre alt, mit allen Wassern gewaschen. Sie büchst aus, folgt Dustin Hoffmann nach Berlin-Neukölln... Wie bitte? Na gut, selbst die Autorin gibt es zu: Der Märchenprinz hieß Jürgen und sah nur aus wie Dustin Hoffmann.

Doch egal wie, nun saß sie also in Berlin und schrieb. Zwanzig lange Jahre... Aber sie träumte auch den großen Emigrantentraum, irgendwann einfach nach New York zurückzukehren. Dorthin, „wo ein Bagel ein Bagel ist und ein Donut ein Donut“, wo man nichts erklären muß, nicht einmal seine Eßvorlieben.

Nach zwanzig Jahren Deutschland versuchte die Autorin wieder einmal den Absprung, testete ihre alte Heimat, die sie nicht gehen ließ, und prüfte den Wind. Zu Gershwins „Rhapsody in Blue“ verzweigt sich diese story in sidestories, und diese liebevoll-groteske Mischung läßt wieder an Woody Allen denken: Er hätte wohl seine Freude an den New- York-Geschichten, die von der tragischen Liebe zu einer unmöglichen Stadt erzählen. Gaby Hartel