GASTKOMMENTARE
: Wir Bonner im tödlichen Jugo-Griff

■ Es ist keine Schande, ratlos zu sein, sondern tatenlos zu bleiben, wenn es Initiativen gibt

Niemand kann sagen, keiner nehme ernst, was ganz nah im durchschossenen Parterre des Europäischen Hauses geschieht. Aber niemand kann auch behaupten, Opposition und Regierung in Bonn hätten ein heilendes Rezept oder gar ein schlüssiges Konzept. Schäubles Hilflosigkeit — europäische Truppen (auch mit Deutschen) nach Jugoslawien — wird von der Regierung und von der Opposition prinzipiell abgelehnt. Wir wollen das nicht. Wir können das nicht. Wir dürfen das nicht.

Und es bringt nicht weniger, sondern mehr Mord und Totschlag. Wir sind nicht vorbereitet auf diesen tödlichen Jugo-Griff, in den die jugoslawische Armee Europa versetzt hat: Zum ersten Mal in diesem Jahrhundert hat sich eine Armee vollständig jeglicher politischer Kontrolle entledigt. Sie hat sich nicht an die Spitze des Staates gestellt, sondern alle physische Gewalt an sich gerissen, indem sie — völlig fiktiv so tut, als repräsentiere sie noch Staatsmacht (jugoslawische oder serbische).

Die relative Nähe der Oppositionshaltung zu der der Regierung ist vielleicht zu erklären daraus, daß auch unsere Fehler in den letzten Jahren parallel liefen: Gemeinsam haben wir versäumt, das KSZE-Mitglied Belgrad zumindest verbal abzustrafen, als es vor zwei Jahren Kosovo knebelte. Wir waren dem Mythos des friedlichen Zentralstaats Jugoslawien aufgesessen. Jetzt müssen konditioniert — Bürgerrechte und Minderheitenrechte — die bereits verselbständigten Republiken anerkannt werden. Es geht nur gemeinsam, da nur eine Anerkennung zusammen mit den anderen Europäern die Deutschen davor bewahrt, noch weiter der „Großmacht-Buhmann“ der serbischen Armeepropaganda zu bleiben.

Vielleicht mußte Europa versagen. Die Wirkung jedenfalls auf das Vertrauen in übernationale Organisationen wie EG und KSZE ist niederschmetternd: in der Welt und bei den Bürgern Europas selbst. Das Eingriffsrecht der UNO — in Analogie zur Golfkrise — ist längst gegeben: Menschen werden vertrieben, Nachbarn werden gefährdet, Minderheiten geschunden. Jetzt müssen wir UNO-Handeln einfordern. Die einzige Lehre muß schon jetzt gezogen werden: Kein Staat kann künftig Mitglied in einer übernationalen Organisation sein, der nicht eindeutig die politische Kontrolle seiner Armee garantiert. Es ist keine Schande, ratlos zu sein, es ist eine Schande, tatenlos zu bleiben, wenn es mögliche Initiativen gibt: Das Verzögern der Sanktionen, das Zögern mit der gemeinsamen Anerkennung war mehr als ein Skandal — es war ein für Europa lebensgefährlicher Fehler. Freimut Duve

Der Autor ist SPD-Mitglied im Auswärtigen Ausschuß des Bundestages