Die Bevölkerungsmehrheit darf künftig Zinsen ganz legal steuerfrei kassieren

■ Kapitalvermögen bis 50.000 Mark bleiben steuerfrei/ Neue Quellensteuer für die oberen 20 Prozent

Bonn/Berlin (taz) — Das Verfassen der Steuererklärung wird noch langweiliger als es heute schon ist. Das leise Kribbeln, die klammheimliche Schadenfreude, wenigstens ein paar Mark Zinserträge dem Finanzamt illegal vorzuenthalten; darauf werden wir bald verzichten müssen — wir alle, die wir alljährlich innerlich lachten, wenn die Bank die Jahresendabrechnung fürs Minidepot schickte und „Zinserträge sind zu versteuern“ mahnte. Künftig dürfen wir bis zu 4.000, vielleicht gar 5.000 oder 6.000 Mark ganz legal behalten. Denn kleine und mittelreiche SparerInnen müssen ihre Zinserträge künftig nicht mehr versteuern, wie gestern quasi-offiziell aus Koalitionskreisen in Bonn verlautete. Das bedeutet in der heutigen Hochzinsphase, daß man ruhig 50.000 Mark ertragreich angelegt haben darf. Wer noch mehr Geld auf der hohen Kante hat, soll allerdings 25 Prozent Steuern auf die Zinsen bezahlen müssen. Endgültig entscheiden wollen CDU/ CSU und FDP in einem Koalitionsgespräch am kommenden Dienstag. Die Arbeitsgruppe, die sich nach einem Grundsatzurteil des Bundesverfassungsgerichts zusammengesetzt hat, um gerechte Zinssteuern auszuarbeiten, will sich zuvor auf die genaue Höhe der Freibeträge einigen. Die bisherige Besteuerung der Sparzinsen hatten die Verfassungsrichter als höchst ungerecht gegeißelt: Die Zinssteuern zu hinterziehen sei so einfach, daß die gängige Praxis der Finanzämter ungerecht gegenüber all jenen sei, die ehrlich alle Einkünfte in das Steuererklärungsformular einzutragen pflegten.

Die 'Süddeutsche Zeitung‘ meldete gestern, daß sich die Arbeitsgruppe bereits geeinigt hätte. Danach sollen Sparer auf jährliche Erträge bis zu 5.000 Mark bei Ledigen und 10.000 Mark bei Verheirateten ganz konkret ab 1993 keine Steuern mehr zahlen. Bei Kapitaleinkünften darüber soll der Staat 25 Prozent kassieren. Drei Mitglieder der sechsköpfigen Kommission bezeichneten den Bericht als „reine Spekulationen“. Was an diesen Spekulationen falsch sei, vermochten sie jedoch nicht zu sagen.

Bei den erwähnt hohen Freibeträgen wären jedenfalls 80 Prozent der Haushalte von Zinssteuern befreit; der Staat würde so 4,5 Milliarden Mark weniger einnehmen. Das übrige reiche Fünftel der Bevölkerung wird sich im Prinzip wieder mit der 1989 abgeschafften Quellensteuer konfrontiert sehen, die aus Beschwichtigungsgründen aber „Zinsertragssteuer“, „Zahlstellensteuer“ oder „Zinsabschlagsteuer“ heißen soll. Die Banken würden erst oberhalb von 5.000 Mark die Zinsen einbehalten, wenn die Kundin dem Finanzamt die Inanspruchnahme der Freibeträge gemeldet hat. Das Bankgeheimnis bleibt gewahrt, weil das Finanzamt nur dann Informationen über das Geldvermögen erhält, wenn die Kundin die gezahlte Quellensteuer in der Einkommensteuererklärung angibt, um möglicherweise einen Teil davon zurückzubekommen.

Und wer richtig reich ist und daher auf das gesamte Jahreseinkommen mehr als 25 Prozent Steuern entrichten müßte, ist ganz fein raus: Ein Teil des Einkommens, die Zinserträge, wäre so legal am Fiskus vorbei gekommen. Auch das in diesem Lande wohl reichlich vorhandene Schwarzgeld geriete so zwar nicht in die Legalität, aber in eine entspannte Grauzone — die Gefahr einer größeren Kapitalflucht, wie 1988 bei Einführung der Stoltenbergschen Quellensteuer, wäre eingegrenzt. Donata Riedel