: Ein blonder, blauäugiger Alptraum
■ In deutschen Medien kommen AusländerInnen kaum vor / Wann wird eine Türkin die Tagesschau sprechen?
Viele werden sich noch daran erinnern, daß der Golf-Krieg auch ein Medienkrieg war; für die einen eine Inszenierung, für die anderen an Leib und Leben spürbare Realität. Für einen Großteil der Bevölkerung ist der Golfkrieg vorbei, seitdem er aus den Schlagzeilen verschwand. Niemand hat richtig Zeit, um die damals angefangenen Diskussionen über Waffenexport, neue Weltordnung etc. fortzusetzen. Der Golf-Krieg ist für erledigt erklärt worden. Schon bevor man sich ein bißchen ausruhen konnte, kam der nächste Hammer. Er heißt „Überfremdung“, „Scheinasylanten“, „Grundgesetzänderung“ und bekommt täglich neue Namen.
Es ist wieder fast soweit, wie in der Zeit des Golf-Krieges, daß die Medien ununterbrochen live berichten können. Diesmal müssen die KorrespondentInnen nicht den weiten Weg hinter sich bringen, um dabei zu sein. Ein Exilantenheim zu finden, ist nicht so schwer, wie auf den Hoteldächern in Amman zu warten. Den spektakulären Berichten sind keine Grenzen gesetzt, jede Schlagzeile ist erlaubt, und es passiert auf deutschem Boden.
Wir sind wieder live dabei. Zur Zeit haben die Sendungen im Fernsehen, die sich mit dem Thema „Asyl“ beschäftigen, Hochkonjunktur. Jede Sendung setzt, wie wir es schon längst gewohnt sind, ihre weißen deutschen ExpertInnen in die Runde und diskutiert über die „Asylanten und Ausländer“, als gäbe es da eine Masse, die sie analysieren könnten. Die Öffentlichkeit aufmerksam zu machen auf die Unfähigkeit der Deutschen, mit anderen Kulturen zu leben, fällt den deutschen Sendern und Zeitungen immer noch schwer.
Die meisten Runden in den Talk-Shows des Fernsehens sind mit inländischen ExpertInnen über Asylanten und Ausländer überfrachtet, als gäbe es nicht genug Menschen auf der nicht-deutschen Seite, die sich über die Gründe der Zunahme des Rechtsextremismus äußern könnten. Zur Dekoration solcher inländischen Runden werden meistens einige ExilantInnen oder ImmigrantInnen hingesetzt, denen zu wenig Sendezeit gegeben wird, um politisch zu argumentieren und die deshalb schnell die Zeit ausnutzen wollen, um an die Nächstenliebe der Deutschen appellieren. ExilantInnen, insbesondere aus Hoyerswerda, werden im Moment hoch gehandelt, wie die Menschen aus dem arabischen Raum während des Golf- Krieges.
Die Instrumentalisierung der Asylfrage mit Schlagzeilen wie „Das Boot ist voll“ oder „Wir können so viele nicht verkraften“ dient nur zur weiteren Verwirrung der Otto-NormalverbraucherInnen. Anscheinend wäre es notwendig, daß man jeden Abend vor der Tagaesschau eine Werbung laufen ließe, um der besorgten deutschen Bevölkerung ihre Ängste zu nehmen. Man könnte vielleicht damit anfangen: „Liebe Deutsche, es gibt 15 Millionen Flüchtlinge auf der Welt. Und stellen Sie sich vor, sie kommen nicht alle zu uns, weil sie sich das sowieso nicht leisten können.“
Insbesondere die Darstellung der sog. AusländerInnen bzw. ExilantInnen in den Medien geben ihren Senf dazu, die Menschen aus anderen Ländern als eine bedrohende, unkultivierte Massse darzustellen. Ihre Kulturen werden nicht selten auf das Minimalste reduziert. Fast jedes deutsche Kind weiß inzwischen, daß z.B. die türkische Kultur aus Bauchtanz, Döner-Kebab, Folklore und aus Männern besteht, die massenweise in den Moscheen sich hin und her bewegen, und aus Kopftuchfrauen, die irgendwie nicht hierher passen. Die Entstehung eines solchen Bildes ist kein Wunder, wenn ein Kind häufig als erstes im Fernsehen einen wackelnden Bauch oder eine knieende Männermasse in der Moschee gezeigt bekommt. Solche einseitigen Darstellungen in den Medien haben schon einmal in der deutschen Geschichte ihre Wirkung nicht verfehlt. Schließlich wären die Deutschen auch nicht glücklich darüber, wenn ihre Kultur nur auf Bockwurst, Krautsalat und Ohnsorgtheater reduziert würde.
Die fehlende Erfahrung mit Emigration, die in anderen europäischen Staaten zum Teil stattgefunden hat, ist somit auch auf die Ignoranz der Medien zurückzuführen, die dem gesellschaftlichen Auftrag nicht oder nur mangelhaft nachkommen, der Bevölkerung das Zusammmenleben mit anderen Kulturen schmackhaft zu machen. Wenn man die Medienlandschaft in Deutschland vor Augen hat, muß man sich fragen, wieso nach 30 Jahren Emigration immer noch so wenig Gesichter auf den Bildschirmen zu sehen sind, die nicht-deutsch aussehen. Menschen aus anderen Kulturen meistens im Zusammenhang mit Problemfällen darzustellen, ist keine Kunst. Stellen Sie sich einen Menschen aus der Türkei als Tagesschausprecherin vor. Das wird in Deutschland für eine Türkin noch lange ein blonder, blauäugiger (Alp)traum bleiben.
Es kommt nicht selten vor, daß der Nachricht über den Überfall auf ein Exilantenheim die Nachricht folgt, daß die Zahl der Asylbewerber gestiegen ist. Soll das Jonglieren mit Zahlen und Prozenten ein zustimmendes Kopfnicken in der Bevölkerung bewirken oder wozu soll diese Verwirrung dienen?
Auch die Diskussion darüber, daß nur 8% der Asylbewerber anerkannt werden, wird die Überfremdungsängste der Deutschen nicht heilen, solange die PolitikerInnen nicht ihre Aufgaben erfüllen. Abschaffung der Ausländergesetze wäre hier ein notwendiger Schritt. Eine große Aufgabe fällt hier auch dem Medienbereich zu, die Menschen auf das „Andere“ neugierig zu machen und andere Kulturen kennenzulernen. Dies ist natürlich nicht dadurch zu erreichen, indem die Deutschen ständig ihre Eindrücke aus anderen Ländern loswerden wollen. Der Anteil der Menschen aus anderen Kulturen ist sowohl im Fernsehen, im Radio als auch in den Print-Medien so gering, daß man sich wünschen kann, daß die Medienlandschaft nicht mehr lange „ausländerfrei“ bleibt.
Die ganze Diskussion über die Asylfrage, die Existenz der AusländerInnengesetze, die Nichtanerkennung von Deutschland als einem Einwanderungsland, die menschenfeindlichen Angriffe, die es immer gab, sind nur ein paar Anzeichen dafür, daß diesem Land die Demokratie nach dem zweiten Weltkrieg von den Alliierten aufgezwungen wurde. Wir hoffen, daß sie endlich lernen, damit umzugehen. Gülbahar Kültür
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