Schaut auf den Sport!

Wenn die Politik vom Sport lernen würde, gäbe es längst ein Ausländer-Wahlrecht  ■ Aus Berlin Mustafa Sayan

Wo die Politik versagt, feiert der Sport seine größten Erfolge. Tausende deutsche und ausländische Jugendliche begegnen sich durch den Sport jedes Wochenende auf den Sportplätzen. Die Angst vor Unbekanntem wird abgebaut. Es entstehen flüchtige Bekanntschaften, manchmal echte Freundschaften.

Rund ein Viertel der 4,5 Millionen Ausländer in Deutschland sind Jugendliche unter 16 Jahren — sie stellen ein großes Potential an Sportlern, die für ihre neue Heimat Siege erringen. Man denke an Adnan Özcoban, der als Boxer Deutscher Meister wurde und für Deutschland um Titel boxt. Ausländische Sportler finden sich heute in allen Klubs zusammen. In der Gemeinschaft des Sports werden Schranken geöffnet. Gemeinsam feiert man Siege oder trauert um Mißerfolge. Durch diese menschlichen Gefühle überwinden die Jugendlichen die Barrieren, die oft zwischen ihnen liegen. Denn: Sport fördert ein gemeinsames Miteinander und baut Grenzen ab.

Deutschland muß sich damit abfinden, daß es ein Einwanderungsland geworden ist. Die Politiker wollen das nicht offen zugeben, aber begriffen haben sie es längst. Jetzt müssen die politischen Grundlagen den gesellschaftlichen Realitäten angeglichen werden. Politiker sind verpflichtet, diese Tatsachen ohne Angst um ihr politisches Mandat der Bevölkerung zu erläutern. Die Regierenden reden gerne über die multikulturelle Gesellschaft. Sportler praktizieren sie. Politiker reden gerne über gleiche Rechte und Pflichten. Sportler sind es wieder, die zeigen, wie es gemacht wird. Wären die Rollen vertauscht, hätten Ausländer längst ihre Rechte als Mitbürger dieses Landes bekommen. Ihre Pflichten als Arbeitskräfte wurden ihnen vom ersten Tag an erklärt. Wenn heute bei „Türkiyemspor“ Deutsche, Türken, Jugoslawen, Araber und Russen gemneinsam um den Aufstieg in die zweite Fußball- Bundesliga kämpfen, wundern sich wahrscheinlich noch viele, wie dies zustande kommen konnte. Wenn es mit der Politik so weitergeht, kann die Zeit in Deutschland einer multikulturellen Mannschaft wie Türkiyemspor nur hinterherrennen.

Als vor zwei Jahren die Mauer durchlässig wurde, haben tausende von Türken und andere Ausländer sich zusammen mit den Deutschen gefreut, ohne zu ahnen, daß die sowieso langsam tickende Uhr für sie stehengeblieben ist. Spätestens nach den blutigen Überfällen in Hoyerswerda wissen sie, daß einige Kurzgeschorene die Zeit sogar zurückdrehen möchten.

Was macht die Politik? Sie verweigert den Ausländern das Wahlrecht, während die Hakenkreuzbemalten — die Stimmzettel in der Tasche und Molotows in der Hand — eine Terrorwelle gegen Andersaussehende produzieren. Was macht der Sport? Er versucht, die mit Gewalt gestoppte Uhr durch seine Methoden zu reparieren.

Zwei Beispiele: „Türkelspor“ aus Westberlin und eine ehemalige ostberliner Mannschaft, der Lichtenberger SV, spielen heute unter dem Namen LSV Türkel in der Kreisliga A in Berlin. Wieder hat der Sport gezeigt, wo es langgeht. Der „Türkische Ringer-Verein“ wird wahrscheinlich nächstes Jahr in der zweiten Bundesliga kämpfen. Diese Mannschaft durfte in den Ligen mitmachen, nachdem ihre Sportler gemeinsam einen Einbürgerungsantrag gestellt hatten. Im ersten Jahr belegt der TRV ohne Niederlage den ersten Platz. Jetzt ist er in der Oberliga, und wieder ist die Mannschaft Tabellenerster, ohne einen einzigen Wettkampf verloren zu haben. Zwei Ringer wurden gleich in die Junioren-Nationalmannschaft berufen.

Diejenigen, die sich heute mit „Ausländer raus“-Parolen profilieren, sollten schon einmal anfangen, die richtge Aussprache ausländischer Vornamen zu üben. Im Hinblick auf ein Olympia 2000 in Berlin stünde diese Toleranz den Spielen besser zu Gesicht. Es wäre doch peinlich, bekäme mancher Gast Assoziationen zu Olympia 1936. Sportler, laßt die Ausländer nicht allein! Politiker, schaut auf den Sport.!

Der Autor ist Sportredakteur der türkischen Tageszeitung 'Hürriyet‘ und arbeitet als Erzieher mit türkischen Jugendlichen.