Eine amerikanische Tragödie

■ Die unglaubliche Wirkung der Aids-Offenbarung des amerikanischen Basketballstars „Magic“ Johnson

Washington (taz) — Andere müssen erst sterben, ehe sie jenen göttergleichen Status erlangen und Gegenstand solch ungeteilter Bewunderung werden. Doch „Magic“ Johnson lebt noch. Genaugenommen besteht die statistische Lebenserwartung des Basketballstars als Träger des Aids-Virus zehn Jahre. Und er hat noch viel vor. So unwahrscheinlich dies sich in einem Land mit 1,5 Millionen HIV-Trägern und mit bisher 125.000 Aids- Toten auch anhören mag. Das schwarze Sportidol „Magic“ Earvin Johnson ist für viele Amerikaner der erste Träger des Aids-Virus, mit dem sie sich wirklich identifizieren können. In den ersten sechs Stunden nach seiner Pressekonferenz in Los Angeles am Donnerstag, auf der sich der fünfmalige Weltmeister mit den „Los Angeles Lakers“ als Aids-Infizierter vorstellte, verzwanzigfachten sich die Anrufe beim Informationstelefon der „Nationalen Aids-Hilfe“. In der landesweiten Drogeriekette „People's Drugs“ setzte umgehend ein „Run“ auf Kondome ein. Seitdem ist über „Magics“ Kontakt mit der Realität von Aids mehr gesprochen und geschrieben worden als über George Bushs politische Probleme, die Rezession und Nato zusammengenommen.

Als dann der 32jährige Weltrekordhalter in „assists“ (Pässen, die zum Korberfolg führen) am Freitag noch erklärte, er habe sich den Virus bei ungeschütztem heterosexuellem Kontakt eingefangen, war die historische Dimension seiner Verlautbarung endgültig klar. Denn in die schwule Ecke konnte man den Liebling der Nation nun auch nicht mehr verdrängen.

Zehn Jahre nach dem ersten registrierten Aids-Fall hatte der 2,03 Meter lange Aufbauspieler der „Lakers“ Amerika endlich die immer wieder verdrängte Krankheit ins Wohnzimmer gebracht. Der gottesgläubige Kleinstadtboy aus Michigan, der kürzlich sein Jugend- „Sweetheart“ heiratete, der mit seiner erfolgreichen Businesskarriere die Mär vom tumben schwarzen Athleten so eindrucksvoll widerlegte, der für Millionen schwarzer Kids auf den harten Basketballplätzen zwischen den heruntergekommenen Sozialbausilos der Innenstädte zum Symbol ihrer eigenen Aspirationen geworden war, diese Legende zu Lebzeiten hat das Angesicht von Aids in den USA nun über Nacht verändert.

Wenn ein Idol wie „Magic“ zum Opfer der Krankheit werden kann, dann darf auch so ein Kerl wie George Bush wieder für seine Untätigkeit in der Aids-Politik kritisiert werden. Wenn der Virus tatsächlich so Unschuldige trifft wie ihn, wer will sich da in Zukunft nicht lieber in acht nehmen. „Nehmt die Sperre aus Eurem Gehirn und stülpt sie euch über das Ding da unten“, wie es „Magic“ in seiner unnachahmlich burschikosen Art am Freitag abend in Arsenio Halls Talk Show als neuer Sprecher für „sicheren Sex“ seinen männlichen Fans ins Stammbuch schrieb.

Man mag hier die Personalisierung des Politischen, die Ablösung des erzieherischen „Common Sense“ durch das Konzept der „Celebrity“ bedauern. Aber die US-amerikanische Realität ist nun einmal derart, daß nur noch schwarze Basketballstars und Rapmusiker dorthin reichen, wo angesichts der Mordrate unter den Schwarzen alle herkömmlichen Erziehungsmethoden über die Todesmöglichkeit durch Aids viel zu abstrakt bleiben.

Nur, wer die Bedeutung des Sports in Amerika versteht, kann die Wirkung seines „Coming Out“ als Aids- Infizierter in der Öffentlichkeit richtig einschätzen. Nachdem die Politik seit John F. Kennedy keine Helden mehr produziert hat, seitdem die Popularität der Hollywoodstars kaum noch die Spielzeit ihrer Zelluloidprodukte überdauert, liefert der Sport dem Land die letzten langlebigen Idole.

Der Sport ist dabei neben dem Militär auch der große Gleichmacher Amerikas, besonders im Basketball, wo mehrheitlich schwarze Spieler vor einem bunt gemischten Publikum spielen. Kein Wunder also, daß die Kommentatoren jetzt den Aids-Virus in Magic Johnson in seiner Bedeutung mit der Kugel in Martin Luther King oder dem Defekt der Raumfähre „Challenger“ gleichsetzen. Als eines der letzten vereinigenden Symbole des ethnisch und ökonomisch auseinanderdriftenden Amerikas ist der „magische“ Earvin Johnson nun zum Symbol dessen neuer Verletzlichkeit geworden. Und seines weiterhin ungebrochenen Überlebenswillens. Rolf Paasch